Die leuchtende Pracht am Strand – mit Eimer und Handschuh auf Sanddornernte
Wenn der Herbst beginnt, schlägt sich halb Rügen in die Büsche. Blaue Schlehen, schwarze Brombeeren, rote Hagebutten und Berberitzen, jetzt ist die bunte Zeit der Beeren. Eine leuchtet aus diesem Angebot der Früchte orangenfarben hervor, vorzugsweise am Strand. Die Rede ist vom Duurnbusch, von der Meerbeere, vom Haffdorn. So sagen wir hier an der deutschen Küste zum Sanddorn. Die Niederländer allerdings nennen sie Scheißbeeren.
Der Sanddorn gehört zu den tapferen Gesellen, die wie der Strandhafer oder die Sandsegge ganz vorn am Wasser zu finden sind. Immer hart am Wind, dem salzigen Ufer trotzend, wenig zimperlich gegenüber dem harten, wechselhaften Wetter an der See. Da ist der Sanddorn, obwohl einst mit dem eiszeitlichem Fernverkehr aus dem Himalaya eingereist, ganz Rüganer. Diese sind bekanntlich nicht nur schön anzusehen, sondern punkten auch mit besten inneren Werten.
Denn ganz vorn ist der Sanddorn auch, was die gesundheitlichen Eigenschaften seiner Beeren betrifft. Sagte ich Beeren? Eine Beere ist die Frucht des Sanddorns strengenommen nämlich gar nicht, sondern eine Nuss. Doch darüber sollen sich die Botaniker streiten, denn es kommt ja drauf an, was drin steckt. Und hier trumpfen die Früchte auf wie wenige andere. Gesunde Fettsäuren, Carotine, magenfreundliche Gerbsäuren sind nur ein paar Asse auf der Liste. Das Cholin in ihm soll gegen Fettablagerungen helfen, gilt sogar als Schlankmacher. Selbst Vitamin B12 hat der Sanddorn, das sich ansonsten nur in tierischem Eiweiß findet. Da bekommt das Wort Fruchtfleisch gleich eine ganz eigene Bedeutung. Nicht zu vergessen seine abführende Wirkung, was die Niederländer offenbar nur zu gut wissen.
Doch ganz oben steht der Anteil am Vitamin-C-Gehalt des Sanddorns. Allein zehn mal so viel Vitamin C wie in Zitronen sollen in ihm stecken. Darum wird der Sanddorn auch gern als Zitrone des Norden bezeichnet. Zehn mal mehr Vitamin C? Sollte es darum nicht besser heißen, die Zitrone ist der Sanddorn des Südens?
Die Natur schafft es jedenfalls, die Beeren immer gerade zur rechten Zeit reif werden zu lassen. Also immer kurz bevor die Erkältungswelle anrollt und wir das Vitamin C so nötig haben. Als Muttersaft, dass ist der unverarbeitete Dicksaft, dürfte er locker mit einer Grippeschutzimpfung mithalten. Zwei Esslöffel pur getrunken sollen Wunder wirken. Aber wie bei der Impfung tut es vorher ein bisschen weh. Das liegt an den namensgebenden Dornen. Außer, man hat einen dicken, ledernen Fäustling dabei.
Es ist ein sonniger Herbsttag, als ich mir den Handschuh überstreife und zu „meiner Stelle“ gehe. Mehr sage ich nicht, Sanddornsammler sind wie Angler und Pilzfreunde – immer schön verschwiegen, was die besten Plätze betrifft (und wütend wie Rumpelstilzchen, falls ihnen ein anderer zuvor gekommen ist). Doch ich habe Glück, meine Sträucher sind noch immer voll von den Dünen-Perlen, sie biegen sich unter ihrer Last. Selbst meine größten Fressfeinde, die Vögel, haben diese Pracht noch nicht entdeckt. Nun aber schnell.
Ich schlage mich durch die Dornen wie der Prinz im Märchen. Kleine Schnitte und Piekser inklusive, so dick und groß ist der Fäustling dann doch wieder nicht. Egal, ich habe Sanddornsalbe dabei, wundheilend und entzündungshemmend ist der Sanddorn nämlich auch noch. Mit dem Fäustling streife ich über die Zweige, quetsche die Beeren, lasse den Saft in einen Eimer laufen. Dabei passe ich auf, dass keine bitteren Blätter hineinfallen. So hat es bereits mein Opa gemacht, er nannte es „melken“. Nach einem strengen Nachtfrost kann man auch auf die Büsche schlagen, dann regnet es orangefarbene Tropfen. Andere schneiden die Triebe ab, legen sie in den Gefrierschrank und schütteln später die gefrosteten Beeren ab. Das soll sogar dem Nachwuchs helfen, da dieser Rückschnitt dem Sanddorn im nächsten Jahr mehr Beeren beschert.
Das allerdings nur, so lange ein männlicher Strauch in der Nähe ist. Der steht dort drüben, ist eher ein unscheinbares, überhaupt nicht orangen leuchtendes Gestrüpp. Nur die weiblichen Büsche sind begehrt, sie tragen die Frucht. Zum Ausgleich darf der männliche Strauch sozusagen der Vielweiberei frönen: Bis zu sieben Sträucherdamen sind auf seine Gunst angewiesen.
Der Eimer hat sich rasch gefüllt, ich sehe schon die Gläser voller Marmelade, die Flaschen voller Säfte. Beziehungsweise voller Sanddornschnaps. An dieser Stelle gleich die Antwort auf die Frage, ob Sanddorn tatsächlich giftig ist: Ja, unbedingt. Aber nur, wenn man einen Liter hochprozentigen Sanddorngeist auf Ex trinkt.
Ich sehe mich um. Noch hängt ringsum alles voller Beeren. Doch zu viel will ich auch nicht wegnehmen, die Fülle dieses Jahres täuscht ein wenig. Ein Pilz macht dem Sanddorn derzeit zu schaffen. Aber ich bin sicher, er packt das. Ist ja schließlich ein echter Rüganer.
Na gut, ein paar Beeren noch für meine Pferde, sie sollen das Fell glänzend machen. Und ein paar Triebe für die Vase, die schlagen jedes Blumenbukett. Und noch ein paar Blätter für die Wanne, die Gerbstoffe darin sollen die Haut straffen.
Als ob ich das nötig hätte …
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