Aufgetischt! Maren und Rainer Hessenius || Erste Edeldestillerie


Berthe Jentzsch ist zwar gebürtige Berlinerin, braucht aber ab und zu Meer. Daher reist sie gerne. Entweder auf die Insel Rügen oder auf die Halbinsel Italien, wo sie einige Zeit lebte. Sie studierte Literaturwissenschaft in Wien und am Peter-Szondi-Institut in... mehr

Rügens Geist in der Flasche

Diese Farbe! Vollkommen durchsichtig und rein wie Wasser.
Genau genommen haben die Brände der „1sten Edeldestillerie Rügen“ in Lieschow jedoch gar keine Farbe. Umso mehr überrascht der kräftige, aromatische Geruch nach reifen Pflaumen, Birnen und Quitten. „Reintönig“, nennt Rainer Hessenius, Eigentümer der Destillerie, den klaren Geschmack,
welcher einen guten Obstbrand ausmacht und weder in der Kehle brennen, noch nach „Klebstoff“ (sensorischer Fachbegriff: „Uhu-Ton“) schmecken darf. Sorgfältig gebrannte Destillate wärmen von innen und tragen den Charakter der Früchte in sich, aus denen sie hergestellt wurden. Und das scheint anzukommen. Fast überall, wo wir auf unserer Reise durch die kulinarischen Orte Rügens einkehren, treffen wir irgendwo auf eines der Produkte der über zwanzig Jahre alten Destillerie. So sehr scheinen die hohen Flaschen mit den dunkelrot-silbernen Etiketten schon zu den Klassikern der Insel zu gehören.

Maren Hessenius, eine energische, fröhliche Frau mit langem rehbraunen Zopf führt uns durch die Brennerei. „In der kupfernen Brennblase brodelt gerade die Maische“, erklärt die studierte Gastronomin. Unmittelbar um das Haus herum erstrecken sich die vier Hektar großen Obstwiesen. Hier wachsen und gedeihen die ältesten auf Rügen beheimateten Sorten, die später in trinkbarer Form in Flaschen landen. Was nicht direkt aus dem Garten kommt, liefert das ebenfalls biozertifizierte „Obstparadies Altkamp“.

Jacob Lebel, Johannes Böttner, Carola, Ontario und Alexander Lucas haben es gut. Den Garten teilen sich die vier Äpfel und eine Birne in trauter Nachbarschaft mit weiteren 26 Apfel- und fünf Birnensorten sowie Quitten, Pflaumen und Kirschen. So viel Sonne wie im Garten der Familie Hessenius bekommen die Biofrüchte deutschlandweit beinahe nirgendwo. Denn Rügen zählt mit die meisten Sonnenstunden in Deutschland. Als würde die Sonne hier länger verweilen wollen, um in der hiesigen Natur Kraft zu tanken für ihre weite Reise um den Erdball. Auf die Qualität der Früchte nimmt das Inselwetter direkten Einfluss: Durch den Wind und das Inselklima blühen die Obstbäume hier später. So sorgt die Ostseewärme im Winter noch für mildere Temperaturen und späten Frost. Im Spätherbst, wenn die Bäume ihr Laub verlieren, erreichen die tief stehenden Strahlen der Sonne die nun von keinem Blätterdach abgeschirmten Früchte. Das Resultat verspricht kräftige Reife und volles Aroma, schwärmt Herr Hessenius. Der gelernte Koch blickt auf rund fünfzig Jahre Erfahrung in der Veredelung empfindlicher Lebensmittel zurück. Seit 35 Jahren als Küchenmeister. Die „Schnapsidee“ eine Destillerie zu gründen, wurde 1996 in die Tat umgesetzt. Das Ziel: die Tradition des Destillierens und den Geschmack alter Obstsorten zu erhalten.

Schnapsbrennen ist ein diffiziler Balanceakt, so lernen wir. Für eine maximale Aromaausbeute gilt es, ein optimales Verhältnis von Alkoholgehalt und Temperatur auszutarieren. Von Spirituosen, die nur eisgekühlt serviert werden, rät Hessenius ab. „Ein hochwertiger Brand muss bei kühler Zimmertemperatur trinkbar sein. Eiseskälte überdeckt sämtlichen Geschmack und versteckt bittere und unharmonische, minderwertige Geschmackskomponenten“. Ebenso würde ein Alkoholgehalt über 45 Prozent die kräftigen Fruchtaromen unterdrücken und den Edelbrand „alkoholisch“ schmecken lassen.
Nach der Ernte wird das sortenreine Obst handverlesen, zerkleinert und unter Zugabe von Hefekulturen in speziell für die Destillerie gefertigten Maischebehältern vier bis sechs Wochen vergoren. Über eine Pumpe wird die Maische darauf zum Brenngerät überführt und bei möglichst geringer Temperatur und höchster Reingungswirkung von unerwünschten Bestandteile gebrannt. Durch nur einmalige Wärmezuführung bleibt eine höchstmögliche Schonung der temperaturempfindlichen Fruchtaromen gewährleistet und es werden die gesundheitsschädlichen Komponenten des Vor- und Nachlaufs traditionell sensorisch vom Herzstück des Brandes abgetrennt. Die anschließende Veresterungszeit erfolgt durch Lagerung in Edelstahlbehältern, lichtdicht zwei bis drei Monate bei gleichmäßiger Temperatur, bevor das Destillat auf Trinkstärke herabgesetzt wird. Das Ergebnis kann sich sehen und vor allem trinken lassen: rein, fruchtig und von innen wärmend.



Ein Kommentar