Die Erinnerungsmanufaktur
Man kann nicht anders. Man muss sich Sabine Partsch als glückliche Frau vorstellen.
Erinnerungen zu hohen Torten auftürmen, Sahne zu Schneebergen aufschlagen, Märchen in essbare Kunstwerke verwandeln – das ist ihr Beruf. Träume herstellen, die man essen kann. Einer davon wird an diesem Morgen vor unseren Augen entstehen. Wir sind in Alt Reddevitz, im Café Moccavino. Gegenüber spiegelt sich der blaue Himmel in der Hagensche Wiek. Durch die große Fensterfront zum Wasser hin wird die Küche in morgendliches Licht getaucht. Frau Partsch, die brünette Eigentümerin und einzige Bäckerin des Cafés bereitet eine „Hüttenzauber-Torte“ zu. Fünf Tage dauert es, bis eine solche Torte in der Vitrine zwischen Königin Louise und der Rügenwalder Himbeertorte ihren Platz findet. Eigentlich. Dank akribischer Vorarbeit gelingt es heute in zwei Stunden.
Für den Schokoladenbiskuitboden mischt die gebürtige Schleswig-Holsteinerin belgische Schokolade, Nüsse, Muskat und erzählt von den Anfängen ihres Cafés: Nach drei Jahren als Angestellte in einem Hotelbetrieb in Südafrika zog sie 2003 nach Rügen. 2008 eröffnete die Mutter zweier Söhne das damals noch baufällige Häuschen. Gebaut und renoviert wurde mit Unterstützung der Familie am Ruhetag des Cafés. Zehn Jahre sei das jetzt her. Heute hat das Moccavino zwölf Monate im Jahr geöffnet. 63 Personen finden Platz. Im Sommer stehen die Gäste dennoch Schlange. Reservierungen sind nicht möglich. Kenner der süßen Belohnung warten trotzdem gern und geduldig.
Zum Teig fügt die gelernte Hotelfachfrau nun Glühwein, Apfelstücke, Amaretto-Eierlikor und Lebkuchenbrösel. Den Abschluss der Torte bildet ein einfaches Schokoladengitter auf der oberen Sahneschicht. Die Gastronomie liege ihr einfach im Blut, erklärt Partsch. Ihre ganze Familie sei mehr oder wenig in diesem Gewerbe tätig. Sohn Björn trafen wir bereits im Sternerestaurant „freustil“ bei Ralf Haug. Inspiration für verschiedene Tortenkreationen kommen von Erlebnissen und Erinnerungen. So entstand die „Baaber Heide“ nach einer spätsommerlichen Fahrradtour durch die dortigen Heidelbeerfelder. Ihr würzig-süßer Duft blieb in der Nase. Dieses Erlebnis kann man in der beerenreichen Torte nun nachschmecken.
Auch in anderen Backwerken verstecken sich Erinnerungen an Landschaften, vergangene Reisen oder historische Persönlichkeiten. Erzählt wird gustatorisch. Mit Torten statt Worten. Schicht für Schicht. Geschichte für Geschichte. Wie Strandfunde leuchtet die „Bernstein-Torte“ Sanddorn-Orange. An die bröckelig-weiße Struktur der Küste erinnert der „Jasmunder Kreidefels“ aus Stachelbeer-Mandel. Die „Moccavino Torte“ ist eine Hommage an ein kulinarisches Vorbild Partschs: „Die Moccasahnetorte meiner Oma. Diesen Geschmack meiner Kindheit, dieses Oma-Gefühl ist das, was ich mit meinem Café vermitteln möchte.“ „Cubata 2016“ ist kuchengewordene Erinnerung an einen Cuba-Urlaub. In „1001 Nacht“ wird mit Feigenstückchen und Kaffeesahne den orientalischen Märchen ein Denkmal gesetzt. Eine herbe Männertorte ist hingegen „König Ludwig“. Entstanden zu Ehren des bayrischen Königs nach einem Besuch auf den Theresienwiese des Oktoberfests. Derb, schokoladig, alkoholisch: Portwein, Baileys und dunkle belgische Schokolade.
Man ahnt es: Kalorienfrei ist nichts. Aber darum geht es auch nicht. Wer etwas für seine Figur tun möchte, ist gut beraten, einen weiten Bogen zu machen. Angesichts der lockenden Versuchungen ist jeder Widerstand nicht nur töricht, sondern schier zwecklos. „Meine Torten machen nicht schlank, aber glücklich“, bestätigt die Wahlrüganerin. Versprochen.
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