Meine Badehose, FKK und ich


Maik Brandenburg ist als Reporter weltweit unterwegs für Magazine wie Mare, Geo, Merian und Free Man's World. Auch, wenn das Reisen seine Leidenschaft ist: "Am Ende zählt, dass ich stets wieder auf Rügen lande", sagt er. Brandenburg lebt mit seiner... mehr

Die neue Strandmode wurde vorgestellt, schöne Bikinis und Badehosen, die „Ihre Figur auf jeden Fall betonen“. Dazu sage ich folgendes:

Als ich das Abitur machte, wurde ich Rettungsschwimmer. Ich war jung, ich war schön, ich war sportlich, warum also nicht? Im Sommer wachte ich auf einem der Rettungstürme an den Rügener Stränden und bemühte mich, meinen Blick auch mal aufs Wasser zu richten. Denn eigentlich war der Strand interessanter, und eine Gefahrenzone war er erst recht: Wie leicht hätte sich ein junges Mädchen einen Hitzschlag beim Sonnenbaden holen können. Und hörte man nicht immer wieder von allzu sorglosen Urlauberinnen, jungen vornehmlich, die in ihren Strandburgen verdurstet waren? Oft genug standen wir Rettungsschwimmer mit einer Flasche Zitronenlikör vor dem Windschutz, um gerade noch rechtzeitig einzugreifen.

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Das Geld brauchte ich natürlich auch, eine West-LP von Pink Floyd oder Jethro Tull kostete schließlich. Der Job wurde gut bezahlt, er konnte ja auch riskant sein, aber damals war ich sowieso bereit, mein Leben für diese Musik herzugeben. Zum Glück musste ich niemals jemanden aus dem Wasser holen. Da ich seinerzeit die US-amerikanische Fernsehserie „Baywatch“ nicht kannte, in der David Hasselhoff im wahrsten Sinne des Wortes ständig tolle Frauen an Land zog, wünschte ich mir dass auch nicht.

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So war vor allem der Rettungsturm meine Bühne.

Sehen und gesehen werden, darum ging’s. Die leuchtend orangefarbene Badehose, die zur Ausstattung gehörte, musste jedem ambitionierten Mädchen auffallen, die Hose war sozusagen staatlich subventionierte Reizwäsche. Gelegentlich tat ich meinen Dienst an FKK-Stränden. Mit Fernglas! Da lagen dann die Schutzbefohlenen, darunter viele weibliche, und dies im „vollkommenen Gewand ihrer Nacktheit“, wie es Johann Wolfgang von Goethe einst leider nicht ausdrückte, was ich jetzt aber nachhole. Wir waren angehalten, unsere Klientel keinen Moment aus den Augen zu lassen, und fürwahr, das taten wir.

Doch um es – nebenbei aber deutlich – zu sagen: Unser Pflichtbewusstsein nahm niemals irgendwelche Auswüchse an. Denn auch im sexuellen Universum gelten immer noch die Gesetze der Physik. Eines

lautet: Masse mal Beschleunigung ergibt Kraft. Die nackte Masse am Strand aber mal der negativen Beschleunigung (also Entschleunigung, es ist ja Urlaub) ergibt eine Triebkraft nahe Null. Das gilt für alle Körper, egal in welchen Kleidergrößen. Den Spanner in den Dünen halte ich für einen Mythos.

Nein, wir haben alles am Abend erledigt. Im Dämmer, wenn der Strand leer war. Sogar halbwegs angezogen, denn jederzeit konnte die Grenzer auftauchen, ihnen gehörte das Ufer nach Sonnenuntergang. Mindestens zwei meiner Freunde, die mit mir auf den Türmen standen, haben ihre Strandromanze geheiratet. Im schönsten Rettungsturm Deutschlands, dem „UFO“ am Binzer Strand, kann man inzwischen Trauungen abhalten. Das scheint mir, so gesehen, nur konsequent.

Vor kurzem habe ich die alte, orangefarbene Badehose wiedergefunden.

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Plötzlich war sie da, aufgetaucht wie das Blech-U-Boot aus den Tiefen meiner Vergangenheit. Das Boot hatten meine Eltern gefunden, als sie ihre Wohnung umbauten. Es steckte hinter einem Abflussrohr, vierzig Jahre lang. Die Badehose lag in einer Kiste. Sie hat an Strahlkraft verloren, sie wirkt leicht schlabbrig, allzuviel sollte man ihr nicht mehr zumuten. Die Hose ist ein wenig wie ich, sagen Sie es ruhig. Aber sie riecht immer noch nach Damals. Nach Jugend. Ich habe meine Nase drangehalten, es war alles wieder da – das Meer, die Sonne, die Mädchen. Der Klang des Nebelhorns von den alten Schwedenfähren, der Geruch der DDR-Sonnenmilch, der Geschmack von Zitronenlikör. Die Badehose war wie die Petites Madeleines von Marcel Proust, die kleinen Kuchen, deren Anblick dem großen Schriftsteller die Kindheit lebendig machten. Madeleines! Sie sind ein wunderbares Gebäck, wieso musste ich sie so spät entdecken?

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Ich habe seitdem einiges zugenommen, wegen der Madeleines. Zumindest eine alte, orangefarbene Badehose, das das kann ich somit bestätigen, betont die Figur außerordentlich.

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Diese „Notizen einer Landratte“, aufgeschrieben von Maik Brandenburg, sind in der mare Heft No. 118 erschienen.


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