Du musst kein Indianer sein, um zu spüren, dass eine große Herde schwerer Tiere im Anmarsch ist. Wir sind zwar weder in der Prärie noch auf einer echten Safari, aber es fühlt sich so an – und so sieht es auch aus hier in Prora auf Rügen:
Die Sonne steht über der weiten Fläche. Nur vereinzelt ein Baum, weit weg der nächste Wald. Das Gras ist kurz. Und die Luft flimmert in der Hitze. Dumpf dröhnt die Erde, als sie plötzlich auftauchen: schwarze, wuchtige Riesen mit neugierig nach vorn geschobenen Köpfen und großen, furchteinflößenden Hörnern: Wasserbüffel. „Die tun nichts, die wollen uns nur begrüßen“, sagt Marco Matuschak, dem die Herde gehört. Seine Wasserbüffel hatten gleich die Ohren gespitzt, als sie von Weitem seinen Ruf hörten: „Koooommt! Alle!“
Nun stehen sie sich am Zaun gegenüber – Auge in Auge: Die Wasserbüffel und jene Exkursionsteilnehmer, denen die gemeinnützige Tochter der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die DBU Naturerbe GmbH, ihren Managementplan für diese Fläche vorstellen will.
Wo die Wasserbüffel von Marco Matuschak grasen und als vierbeinige Landschaftspfleger arbeiten, war zu DDR-Zeiten ein Panzer-Schießplatz der Nationalen Volksarmee (NVA). Früher sorgten die Panzerketten dafür, dass offene Heideflächen entstanden. Heute sollen Wasserbüffel diese Flächen in ihrem Bestand bewahren und vor dem Zuwuchern und Verbuschen schützen. Denn Gräser, Moose und andere Pionierpflanzen verbreiten sich schnell. Das ist auf den Feuersteinfeldern gut zu beobachten und schlecht für die vom Menschen offen gehaltenen Biotope, zu denen der Magerrasen auf der Seesandebene und die Wacholderheide zählen. Ein wertvolles Erbe, ursprünglich geformt durch Eiszeit und Ostsee.
Die Fläche erstreckt sich von Staphel bei Mukran im Norden bis zum Schmachter See bei Binz, liegt zum Großteil am Kleinen Jasmunder Bodden und schließt auch die Insel Pulitz bei Stedar und die Halbinseln Thiessow und Buhlitz ein. Mit nahezu 1900 Hektar zählt das Gebiet zum „Nationalen Naturerbe“. Würde man nichts tun, wäre dieser einzigartige Lebensraum mit seiner schützenswerten Flora und Fauna verloren.
Seit 32 Jahren ist Frank Bölke hier der Revierförster. Er kennt in seinem Bereich alle „Hot-Spots“ der Artenvielfalt, jene Stellen, an denen wilde Orchideen blühen, wo das seltene Sumpfglanzkraut wächst, der Wachtelkönig sein unverwechselbares, knarrendes „Rerrp-rerrp“ ruft, wo der Seeadler brütet und der Große Feuerfalter flattert.
Jetzt hält Frank Bölke den deutschlandweit ersten Naturerbe-Entwicklungsplan für „sein“ Revier in der Hand, eine Art „Bedienungsanleitung“, nach der in den nächsten zehn Jahren diese Fläche durch Pflege erhalten und entwickelt wird – mit Besucherlenkung und -leitung, mit einem durchdachten Wege- und Informationskonzept und auch mit forstwirtschaftlichen Richtlinien, die mit dem Naturschutz abgestimmt sind. „Das ist das Beste, was mir und diesem Revier passieren konnte“, freut sich Frank Bölke auch darüber, dass die Waldflächen auf Pulitz und auf den Halbinseln Buhlitz und Thiessow bis 2019 vollständig der natürlichen Entwicklung überlassen werden – ohne Eingriffe des Menschen, während andernorts ein so genannter Waldumbau nach den Kriterien des Nationalen Naturerbes erfolgen wird. Auch Wiedervernässung und Renaturierung sind in dem Plan verankert.
Seit der feierlichen Eröffnung des Naturerbe Zentrums Rügen in Prora wurden vom Juni 2013 bis jetzt 900 000 Gäste gezählt, die den Baumwipfelpfad, den Aussichtsturm, der einem Alderhorst nachempfunden ist, und das Umweltinformationszentrum besucht haben. Im September 2016 wird voraussichtlich die Millionenmarke geknackt, so Jürgen Michalski, der Leiter des Naturerbe Zentrums Rügen (NEZR), das eine Einrichtung der Erlebnis Akademie AG aus Bad Kötzting ist. Das NEZR wurde 2013 in Kooperation mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) errichtet. 30 feste Mitarbeiter, unterstützt von weiteren fleißigen Helfern und engagierten Naturführern, arbeiten motiviert für die Gäste des Zentrums, denn in einzigartiger Kombination liegen zwischen dem Kleinen Jasmunder Bodden und der Prorer Wiek die drei Ökosysteme Wald, Offenland und Feuchtgebiete auf der DBU Naturerbe Fläche Prora.
Die Wasserbüffel scharren mit den Hufen in der Prärie von Prora. Ihre Neugier auf die Zaungäste ist gestillt. Langsam ziehen sie sich zurück. Dorthin, wo es ein wenig schattiger ist und das Gras höher steht. Ein Seeadlerpaar kreist über ihnen in der Thermik. Und auf dem eingefriedeten Beobachtungspunkt schaut ein Urlauber durch das Fernglas.
Wolfgang Stohmann, ein zertifizierter Natur- und Landschaftsführer, schiebt seinen breitkrempigen Lederhut in den Nacken. „Wieder was dazugelernt“, sagt der Mann im (Un)Ruhestand. Den Gästen des Naturerbe Zentrums, die er zuweilen durch die Schmale Heide bei Prora begleitet, wird der Rentner jetzt auch von der Idee erzählen können, die Feuersteinfelder mit Hilfe von Ziegen zu beweiden, um die Heide offen halten. Was fehlt, sind lediglich die Ziegen und der Hirte.
Weitere Informationen:
Fotos: Fiedje Herold (TZR-Praktikant) und Holger Vonberg
Kommentare sind geschlossen.