52 Gesichter der Insel Rügen: Christian Schmidt #15of52


Holger Vonberg ist gebürtiger und bekennender Rüganer. Sein Berufswunsch als Zweijähriger: „Urlauber Baabe“. Das hat nicht ganz geklappt. Ab 1991 war er als Journalist u. a. für den NDR, die OZ und den „Urlaubs-Lotsen“ auf der Insel unterwegs. Bis März... mehr

Christian Michael Schmidt | Diplom-Sozialpädagoge aus Lohme, Jahrgang 1962

Als Bausoldat mit der DDR-Wehrpflicht auf Kriegsfuß

Christian Michael Schmidt stammt aus einer Pfarrersfamilie und ist das jüngste von vier Kindern. Der Vater, Jahrgang 1929, hatte noch den II. Weltkrieg erlebt, war mit 16 Jahren in den letzten Kriegsmonaten zur Deutschen Wehrmacht eingezogen worden. Auch deshalb wurden Christian, der nur wenige Monate nach dem Mauerbau geboren wurde, und seine Geschwister pazifistisch erzogen.

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Warum das so war, darüber hat er lange nachgedacht und recherchiert. Möglicherweise sollten oppositionelle Kräfte vor den offiziellen Mai-Feierlichkeiten im 40. Jahr der DDR sicherheitshalber von der Staatssicherheit „aus dem Verkehr“ gezogen werden, damit nicht noch einmal solche Bilder wie vom Januar durch die Westmedien gingen, denn eine Bürgerinitiative hatte am 15. Januar 1989 zu einer Gegendemonstration gegen die staatlichen Gedenkfeiern aufgerufen: „Der Tag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht soll uns Anlass sein, weiter für eine Demokratisierung unseres sozialistischen Staates einzutreten.“ Die Bilder mit dem Transparent und diesem Zitat von Rosa Luxemburg gingen um die Welt: „Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“.

Ein Jahr und drei Monate – bis kurz vor dem Mauerfall – war Christian Schmidt als Bausoldat in Prora, in dem Koloss, der von den Nationalsozialisten als Kraft-durch-Freude-Bad für 20 000 Volksgenossen geplant, aber nie vollendet wurde. In jenem viereinhalb Kilometer langen Komplex, in dem zu DDR Zeiten bis zu 10 000 Armeeangehörige stationiert waren.

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Und es tat sich doch etwas in diesem Land, das sich im gesellschaftlichen Umbruch befand. Bausoldat Christian Schmidt wurde regulär aus der NVA entlassen, das war Ende Oktober 1989. Den Plan, in den Westen zu gehen, verwarf er mit seiner damaligen Frau. Sie wollten bleiben und dabei sein, wenn eine neue Gesellschaft gestaltet wird. „Ich hatte große Wendehoffnungen.“

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Christian Schmidt arbeitet heute als Freiberufler im Dokumentationszentrum Prora, bringt Jugendlichen und Erwachsenen die Geschichte dieses Kolosses näher. Und er engagiert sich im Verein Lichtspiele Sassnitz als Filmvorführer im Grundtvighaus Sassnitz und im Cliff Hotel in Sellin, wo er im Programmkino außergewöhnliche Filme präsentiert, abgespielt auf alten 35-mm-Vorführgeräten, die noch aus DDR-Zeiten stammen. Im Jahr 2011 wurde der Verein für sein kulturelles Engagement mit dem Förderpreis der Kulturstiftung Rügen ausgezeichnet.

Noch immer denkt Christian Michael Schmidt, der begeisterte AWO-Fahrer, gern an seine Rockerzeit unter dem wachsamen Auge der DDR-Sicherheitsorgane zurück. Noch heute trifft er sich mit AWO-Freunden, organisiert Ausfahrten. An seiner Kutte erinnern der kleine Spaten von seinen alten Schulterstücken und seine Alu-Erkennungsmarke der NVA an die Zeit als Bausoldat, ein Aufnäher an „Born in the GDR“ und der Klang der AWO an seinen großen Traum von Freiheit.

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www.kino-lichtspiele-sassnitz.de

www.dokumentationszentrum-prora.de

Foto/Video: pocha.de

Insel Rügen. #25JAHRE

Nach dem Mauerfall in die Reisefreiheit. Deutschland feiert im Jahr 2015 „Silberhochzeit“: 25 Jahre Deutsche Einheit. Die Insel Rügen erinnert mit der Kampagne „#25JAHRE“ an jene Zeit vor und nach dem Mauerfall. Wie haben die Menschen auf Rügen, Ummanz und Hiddensee die gesellschaftliche Wende erlebt? Wie war ihr Leben in der DDR – an der unsichtbaren Mauer, die Ostsee hieß? Und wie ging es im neuen, vereinten Deutschland für sie weiter? Rügen hat sie: Menschen mit ihren spannenden Geschichten, authentisch, ehrlich, emotional, überraschend. Jede Woche des neuen Jahres steht für 52 dieser Gesichter, die immer freitags in Kurzfilmen auf Youtube (youtube.com/wirsindinsel), Vimeo und im Blog www.wirsindinsel.de gezeigt werden: Plattdänzer und Plattschnacker, „Ureinwohner“ und Neurüganer, Sänger, Künstler, Mitgestalter, eine Meisterin, der Wetterfrosch, der Nachbar und die Nachbarin. Spannende Geschichten, die zeigen, wie tief so manche Wurzel in die Rügener Geschichte hinein reicht, was Glück und was Heimat bedeuten und wie sich Zeiten und Menschen ändern, ob Wünsche und Träume wahr wurden oder Hoffnungen sich vielleicht doch nicht erfüllt haben. #25JAHRE ist ein Projekt voller Emotionen, ein Stück bewahrter Zeitgeschichte, ein Teil von Rügen.

 


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