Willy Kankel | Oberstudienrat i. R., Jahrgang 1928
„Dat Läben is wie dat grote Water…“
Geboren wurde Willy Kankel im August 1928 in Kasselvitz bei Rambin. Sein Vater war Schäfer und wurde schon in jungen Jahren schwer krank. Darum musste Willys Mutter alles allein bewirtschaften. Er und seine Geschwister halfen im Haus und auf dem Hof, mussten Rüben verziehen, Kühe hüten. „Lier bloß nich dat Melken, dann sitzt du, wenn die annern nach Hus kommen, ümmer noch unner de Kau.“ Diesen gut gemeinten Rat seiner Mutter hat er später beherzigt.
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1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, ist für Willy (15) die Schule vorbei. Die Aufnahmeprüfung an der Lehrerbildungsanstalt Pasewalk hat der Junge vom Dorf bestanden, obwohl ihm das Rechnen mit Buchstaben völlig fremd ist. Er ist dabei, als Mitschüler nach Hause geschickt werden, weil deren Eltern beim Bombenangriff auf Anklam ums Leben gekommen sind.
Wie viele andere seines Jahrgangs wird auch er zum Ausschachten von Panzersperren nach Hinterpommern geschickt. Zuvor hatte er in Barth kurzzeitig militärischen Schliff bekommen. „Vater holte meine Zivilsachen ab“, erinnert er sich. „Neben unserem Lager war eine Außenstelle des Konzentrationslagers. Und wir mussten mit ansehen, wie einer der Häftlinge verprügelt wurde, nur, weil er vor lauter Hunger mit dem Finger die Reste aus einem Kübel gefischt hatte. Das werde ich nie vergessen.“ Sein Vater zeigte auf die Häftlinge und sagte: „Jung, dat sin ook alles Menschen.“
Mit Menschen wird Willy Kankel ein Leben lang zu tun haben, als Lehrer. Nach dem Krieg ist er zwei Monate in englischer Gefangenschaft. Und er kommt wieder auf seine Insel – nach einer abenteuerlichen Reise zunächst von Bargteheide nach Berlin, versteckt zwischen Hilfspaketen auf einem Lastwagen und mit der Eisenbahn von Berlin nach Stralsund.
Mit einem Passierschein der Russen in der Jacke balanciert er über schmale Bretter, mit denen der zerstörte Rügendamm behelfsmäßig geflickt worden war.
Es ist Anfang 1946, der Winter sibirisch. Hinter Willy Kankel liegen harte Wochen. Als Friedhofsgärtner hatte er arbeiten müssen. Seine Hände gleichen Schaufeln. Die Hände rau, doch der Geist hellwach. Sein Notizbuch war immer dabei. Vielleicht fällt ihm auch deshalb die Aufnahmeprüfung zum 1. Lehrerbildungskurs am Pädschen, dem Pädagogium am Circus in Putbus, nicht schwer.
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Das ehemalige königliche und später staatliche Pädagogium in dem großen klassizistischen Bau am Circus in Putbus wurde im Zweiten Weltkrieg zur Nationalpolitische Erziehungsanstalt. Von 1946 bis 1975 werden in diesem Haus, am neuen Diesterweg-Institut, Lehrer ausgebildet. Dort singt Willy Kankel auch im Chor. Und das erste Chortreffen der jungen Rüganer sollte sein weiteres Leben bestimmen. Er lernt seine Frau Lotte kennen.
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Seine inzwischen verstorbene Frau Lotte hat ihm drei Kinder geschenkt und mit ihm den Grundstein für eine richtige „Lehrer-Dynastie“ gelegt. Lotte arbeitete als Grundschullehrerin. Er war von 1962 bis 1989 Direktor an der Polytechnischen Oberschule Putbus. Auch die beiden Töchter wurden Lehrerinnen. Und von den sieben Enkeln sind drei in ihre Fußstapfen getreten, arbeiten in Köln und Jena. Und die jüngste Enkelin studiert in Osnabrück Musik und Deutsch auf Lehramt. Darauf ist Willy Kankel stolz. Auch auf seine plattdeutschen Kolumnen in der Ostsee-Zeitung, von denen seit 1981 mittlerweile mehr als 1360 erschienen sind. Zu seinem 80. Geburtstag hat er ein Buch geschrieben: „Häkt, Moos un Supermann“ mit lütten Vertellers över Land un Lüd, Gistern un Hüt, över Lust un Last, Ruh un Hast, över Natt un Drög un Läben un Leev. Als ehemaliger Reiseleiter auf Rügen weiß er viel zu berichten.
„Dat Läben is wie dat grote Water“, sagt Willy Kankel nachdenklich und erinnert sich: Mit 61 Jahren konnte er 1989 in den Vorruhestand gehen. Eine Neubewerbung als Schulleiter kam für ihn aber nicht in Frage. Die neue Zeit sei nicht seine Zeit, sagt er, „eine Zeit, in der das Geld die Welt regiert, in der Neonazis aufmarschieren, Fremdenfeindlichkeit geschürt und wieder und wieder Krieg geführt wird. . .“
Das Buch „Häkt, Moos un Supermann“ von Willy Kankel hat 208 Seiten, ist als Paperback im Verlag „Books on Demand“ Norderstedt erschienen und kostet 13,90 €. ISBN 978-3-8370-5783-6
Foto/Video: pocha.de
Am 31. August 2016 ist Willy Kankel in Putbus gestorben. Die Inselexperten haben ihn als guten Lehrer, warmherzigen Menschen, spitzbübischen Plattverteller, kritischen Kolumnenschreiber, sehr offenen Zeitzeugen und als einen ganz großen Rügenfreund kennen und schätzen gelernt. Wir werden ihn in guter Erinnerung behalten. Wir freuen uns, dass er zu unseren 52 Gesichtern der Insel Rügen zählt. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.
Am 11. Oktober 2016 haben sich Freunde, Weggefährten, ehemalige Schüler und Kollegen in einer bewegenden Gedenkfeier von Willy Kankel verabschiedet.
Insel Rügen. #25JAHRE
Nach dem Mauerfall in die Reisefreiheit. Deutschland feiert im Jahr 2015 „Silberhochzeit“: 25 Jahre Deutsche Einheit. Die Insel Rügen erinnert mit der Kampagne „#25JAHRE“ an jene Zeit vor und nach dem Mauerfall. Wie haben die Menschen auf Rügen, Ummanz und Hiddensee die gesellschaftliche Wende erlebt? Wie war ihr Leben in der DDR – an der unsichtbaren Mauer, die Ostsee hieß? Und wie ging es im neuen, vereinten Deutschland für sie weiter? Rügen hat sie: Menschen mit ihren spannenden Geschichten, authentisch, ehrlich, emotional, überraschend. Jede Woche des neuen Jahres steht für 52 dieser Gesichter, die immer freitags in Kurzfilmen auf Youtube (youtube.com/wirsindinsel), Vimeo und im Blog www.wirsindinsel.de gezeigt werden: Plattdänzer und Plattschnacker, „Ureinwohner“ und Neurüganer, Sänger, Künstler, Mitgestalter, eine Meisterin, der Wetterfrosch, der Nachbar und die Nachbarin. Spannende Geschichten, die zeigen, wie tief so manche Wurzel in die Rügener Geschichte hinein reicht, was Glück und was Heimat bedeuten und wie sich Zeiten und Menschen ändern, ob Wünsche und Träume wahr wurden oder Hoffnungen sich vielleicht doch nicht erfüllt haben. #25JAHRE ist ein Projekt voller Emotionen, ein Stück bewahrter Zeitgeschichte, ein Teil von Rügen.
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