Am 27. Juli lädt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger an der Nord- und Ostsee zum Tag der Seenotretter ein. „Open Ship“ heißt es dann auch in Glowe und Sassnitz.
An diesem Tag stehen diese mutigen Männer, ihre Arbeit und ihre Technik im Mittelpunkt.
Vor ein paar Jahren habe ich die Besatzung des Seenotrettungskreuzers „Wilhelm Kaisen“ im Sassnitzer Stadthafen besucht. Längst wurde dieses Schiff von einem moderneren abgelöst. So oder ähnlich aber könnte die Geschichte auch heute noch klingen.
Die „Wilhelm Kaisen“ liegt fest vertäut am Kai. Auf der Brücke: Dirk Neumann im roten Overall der Nautiker. Er ist Steuermann und stellvertretender Vormann. Im Maschinenraum checken die Männer in Grün, Manfred Lucas, Thorsten Müller und Mathias Everartz, die drei Schiffsdiesel. Die Abgasrohre der Maschinen sind spiegelblank poliert wie die Auspufftöpfe von Show-Motorrädern. „Hier kannst du vom Fußboden essen“, sagt Manfred Lucas stolz und wischt sich die Hände an einem Putzlappen ab. Die Taufe des Schiffes ist 29 Jahre her.
Jörg Schievekamp und Lutz Westendorf überprüfen im Hospital über der Maschine die Einsatzkoffer für die Erste Hilfe. Beatmungsgerät, Defibrillator, alles in Ordnung. Alltag an Bord. Zwei Wochen sind die Männer auf dem 44 Meter langen Aluminiumschiff, dann werden sie abgelöst.
Im Jahre 1865 ist die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet worden. Seitdem haben die mutigen Männer mehr als 72.100 Menschenleben vor dem Seemannstod gerettet. Heute sind etwa 190 fest angestellte Einsatzkräfte und über 800 freiwillige Rettungsmänner auf 54 Stationen an der deutschen Nord- und Ostseeküste bereit, unter Einsatz ihres eigenen Lebens Hilfe zu leisten: 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Auch die beiden Besatzungen der „Wilhelm Kaisen“, die den Namen eines verdienstvollen Bremer Bürgermeisters trägt. Und „Helene“, das kleine Tochterboot, das so heißt wie dessen Frau.
Seit sieben Jahren ist Dirk Neumann bei der DGzRS. „Wir sind jeden dritten Tag unterwegs, um das Schiff einsatzklar und betriebsbereit zu halten. Wenn ein Notruf kommt, geht es sofort los.“
Der schlimmste Einsatz für die Männer war am 14. Januar 1993. Der Untergang der polnischen Fähre „Jan Heweliusz“, eine unfassbare Katastrophe. Damals waren die Seenotretter noch mit dem kleineren Kreuzer „Arkona“ unterwegs. Das waren Tage und Nächte, die Manfred Lucas nie vergessen wird. Schon die Fahrt zum Havaristen war wie der Ritt auf einer Rasierklinge. „Unser Kreuzer war Spielball der sechs bis acht Meter hohen Wellen. Es war mein erster Einsatz, denn ich hatte wenige Tage zuvor bei der DGzRS angeheuert“, erzählt er. Der ‚Arkona’-Besatzung sei es damals gelungen, zwei Menschen lebend aus den eiskalten Fluten zu retten. Auch Tote wurden geborgen. Bilder, die immer wieder auftauchen. „Wir sind keine Helden“, sagt Manfred Lucas. „Auch wir haben Angst. Aber die spielt bei einem Einsatz keine Rolle, denn wir wissen, was wir tun. Nur, was uns auf See erwartet, das wissen wir nie, wenn der Schiffs-Alarm ertönt. Eines aber müssen wir immer akzeptieren: Die Natur ist stärker als wir.“
Dass die Sassnitzer Crew alles im Griff hat an Bord, zeigen nicht nur die krümelfreien Gänge, die sauberen Kammern und blitzblanken Toiletten (Kommentar von Lutz Westendorf: „Wir sind hier die Hälfte des Jahres zu Hause, dann soll es auch wie zu Hause aussehen.“). Die Männer haben auch seemännisch viel vorzuweisen. Im Mai nahmen sie an der internationalen Übung „Baltic Sarex 2007“ vor Bornholm teil. Alle Schadenslagen auf See wurden simuliert, ein Flugzeugabsturz, die Bergung von Menschen, die Kollision zweier Schiffe mit Verletzten und Feuer. Knoten mussten geschlagen, Taue gespleißt werden. Die Goldmedaille holten die Männer von der „Wilhelm Kaisen“. Sie verwiesen ihre Kollegen aus Schweden, Polen, Estland und Finnland auf die Plätze. Auch hier winken sie stolz, aber bescheiden ab.
Vor einer Woche: Eine schnarrende Stimme durchbricht mitten in der Nacht die Stille auf der Brücke. Ein Fischkutter treibt manövrierunfähig vor Rügen, vermutlich hat sich ein Netz in der Schraube verfangen. Der Kapitän bittet um Hilfe. Alarm an Bord der „Wilhelm Kaisen“. Alle auf ihre Posten. Die ständig vorgewärmten Maschinen werden angelassen, die Landanschlüsse eingeholt. Leinen los. Fünf Minuten später schon liegt die Hafenausfahrt hinter dem Rettungskreuzer. Hebel auf den Tisch, volle Kraft voraus mit 7.300 PS. Eine Rußwolke steigt auf, der Bug hebt sich. Mit ihrem schlanken Rumpf zerschneidet die „Wilhelm Kaisen“ die Wellen. Der Havarist ist schnell erreicht, wird in den Hafen geschleppt. Einsatz beendet. Nachbereitung. Später ein ruhigerer Start. Die Seenotretter verabschieden die Segler des Baltic-Sprint-Cups. „Die Skipper haben bei ihrer Party an Land ein Spendenschiffchen der DGzRS herumgereicht und gut gefüllt“, freut sich Dirk Neumann. Und Helga Freybier aus Lauterbach, die mit ihrer Tochter die Spenden erfasst, zählte rund 650 Euro. 19.000 Schiffchen, die kleinste Bootsklasse der DGzRS, sind deutschlandweit stationiert, der „Klingelbeutel“ der christlichen Seefahrt, denn die Gesellschaft finanziert sich ausschließlich aus Spenden. „Jeder Cent zählt und wird direkt für mehr Sicherheit auf See eingesetzt“, sagt Manfred Lucas. „Davon können sich die Besucher am Tag der Seenotretter überzeugen, auch an den Stationen, die durch ehrenamtliche Seenotretter besetzt sind. Und wir ziehen den Hut vor deren Arbeit neben ihrer eigentlichen Arbeit.“
Termine:
Die „Wilhelm Kaisen“ ist im Jahre 2012 abgelöst worden von einem kleineren, aber leistungsfähigeren Kreuzer. Der 36,5-Meter-Seenotkreuzer HARRO KOEBKE mit Tochterboot NOTARIUS ist die zweitgrößte Einheit der DGzRS-Flotte und ist in der Ostsee vor der Insel Rügen im Einsatz. Zur Stammbesatzung gehören elf Rettungsmänner, wovon sich jeweils fünf auf „Wache“ befinden. Übernachtet wird im Hafen aber nicht an Bord, sondern in dem neuen Stationsgebäude gleich neben dem Kreuzer. Finanziert wurde das Backsteinhaus wie alle Stationen und Schiffe der DGzRS aus Spendenmitteln.
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