In der Dämmerung beginnt unsere Wanderung am nordöstlichsten Kap Deutschlands – mal sehen, wem ich heute den großen Bären aufbinden kann.
Meine Begleiter: Nummer eins bis vier im Alter von 7 – 11 Jahren
Im Rucksack: Taschenlampen, Kakao und Stullen sowie eine nachtleuchtende Sternenkarte
Die Küste kurz vor dem Kap Arkona glüht in der letzten Abendsonne, als wir den Steiluferweg entlang laufen. Wie in eine große Mulde geduckt liegt der kleine Fischerort Vitt mit seinen uralten Fischerkaten jetzt vor uns. Viele Stürme und augenscheinlich auch der neue Wind der Zeit sind hier einfach spurlos über die niedrigen, reetgedeckten Häuschen hinweggefegt, ohne ihnen etwas anhaben zu können. „Sieht aus wie bei Asterix und Obelix“ meint Nummer eins beim Durchgehen.
Wir wandern weiter zwischen Rot- und Sanddornbüschen mit Blick auf das Kap Arkona. Heute ist wenig Wind, doch das Meer viele Meter unter uns ist gut hörbar, die Weite sichtbar. Wir sind gemütlich gebummelt und haben im Zwielicht bei einem riesigen geschnitzten Holzkranich auf dem Aussichtspunkt unsere Stullen verputzt – egal, wir haben viel Zeit, und es riecht hier schön nach Meer.
Der Weg führt uns weiter zum Kap, und vor uns zeichnen sich die Reste des alten Burgwalls schwarz gegen den Abendhimmel ab. Hier haben schon vor tausend Jahren die alten Ranen Ihre Erleuchtung gesucht. Der damals in dieser Tempelburg verehrte Gott Svantevit hatte vier Gesichter, um in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig zu schauen. Wer schon einmal hier war kann verstehen warum. Mittlerweile sind große Teile der Burganlage bereits durch Uferabbrüche ins Meer gestürzt, und Archäologen versuchen mit Notgrabungen der Erde ein paar Geheimnisse über die historische Kultstätte zu entlocken.
Das „Wann sinn wa daa?“ von Nummer drei reißt mich aus meinen Gedanken. Zum Glück kommt nach der nächsten Biegung gleich der alte Peilturm in Sicht. Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung zu den beiden Leuchttürmen, die majestätisch zu uns herüber blicken.
Wir haben den Rückweg Richtung Fischerdorf angetreten und die Taschenlampen aktiviert. Mittlerweile ist es stockfinster. Erhabene Schwärze breitet sich über uns aus. Die Weite des Meeres in der dunklen Tiefe ist jetzt nicht mehr sichtbar, nur noch zu fühlen. Dafür lohnt sich ab jetzt der Blick nach oben: jenseits der Lichtverschmutzung öffnen sich hier für uns die unendlichen Weiten des Universums. Man muss spontan ganz tief durchatmen und ein bisschen an die Enterprise denken. Wir haben zudem eine Neumondnacht erwischt und das Glück eines wolkenlosen Himmels.
Jetzt kommt unsere Sternenkarte zum Einsatz: es dauert eine Weile bis wir uns orientiert haben und endlich den Gürtel des Orion eindeutig erkennen. „Und da ist Sirius, wie Sirius Black“ trumpft Nummer zwei auf. „Ach, das kann man nicht erkennen, es sind ja soo viele von denen“ meint Nummer vier und ist schon ziemlich müde. „Es kann ruhig mal einer für uns runterfallen.“
Das Starren in den Nachthimmel lohnt sich: wir entdecken den großen Wagen und den Stier, und Nummer eins meint sogar, man könnte die Bewegung des Universums sehen. Aber nach einer Weile ist es dann doch wieder interessanter mit den Taschenlampen Leuchtturm zu spielen. Es ist jetzt ziemlich kalt geworden, und wir beeilen uns nun zurück zu kommen. Der Weg durch die Nacht ist geheimnisvoll und von millionen winzigen Lichtern über uns begleitet, ich muss einfach immer wieder nach oben schauen, während ich den aufgeregt tuschelnden Kindern im Schein der Taschenlampen hinterher stolpere. Plötzlich macht mein Herz einen Hüpfer – da war gerade eine, tatsächlich eine Sternschnuppe!
Mein Rucksack ist nun ganz leicht, es sind nur ein paar kleine Neujahrswünsche darin.
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