Die „Rügener Schreibkreide“, so die korrekte geologische Bezeichnung der oberflächennah anstehenden Kreidesedimente der Insel Rügen, entstand vor 69-67 Millionen Jahren aus den kalkigen Überresten verschiedener Meeresorganismen. Die Kreide-Sedimentation ist geologisch ein so bedeutender Prozess, dass ein gesamtes Erdzeitalter nach diesen Sedimenten benannt wurde – die Kreidezeit. Einen wichtigen Anteil an der Bildung der Kreidesedimente haben so genannte Coccolithophoriden (Geißelalgen), dies sind winzige, oft kugelförmige Organismen, deren Skelette aus kleinen runden bis ovalen Kalkplättchen (Coccolithen) bestehen. Während der Kreidezeit war das Klima warm und die Lebensbedingungen für dieses Phytoplankton gut, so dass es in großen Massen auftrat. Starben diese Kalkalgen ab und sanken auf den Meeresgrund, so zerfielen sie in die einzelnen Kalkplättchen und trugen ganz langsam zur Bildung des Kreidesediments bei. Betrachtet man die Rügener Kreide unter einem Rasterelektronenmikroskop, kann man die wunderschönen Formen dieser Nannofossilien noch heute erkennen. Hinzu kamen u.a. winzige Bruchstücke der kalkigen Schalen und Skelette anderer Meeresbewohner wie z.B. Muscheln und Seeigel. So bildeten sich in 1.000 Jahren ca. 3,5 Zentimeter Kreidesedimente.
Die Menschen auf Rügen nutzten die Kreide schon früh, z. B. als Düngekalk in der Landwirtschaft oder als Wandfarbe. Aus dem Mittelalter sind auf der Insel verschiedene Orte bekannt, an denen wahrscheinlich Kalkbrennöfen zur Herstellung von Branntkalk in Betrieb waren. Seit etwa 200 Jahren wird die Kreide systematisch in Kreidetagebauen auf der Insel abgebaut und auch an der Kreideküste wurde Kreide gewonnen. Die Küste wurde aber bereits 1929 mit einer Polizeiverordnung unter Schutz gestellt. Der Kreideabbau war harte Knochenarbeit. Die Rohkreide wurde mit Spitzhacken aus der Kreidewand abgeschlagen und fiel über Trichter, die zuvor in die Kreide gehauen wurden, in Loren. Diese Form des Abbaus bezeichnet mal als Trichterschlitzschuren-Verfahren. Aus den Loren wurden per Hand größere Feuersteine abgesammelt. Danach ging es mit den Loren zum Rührwerk, hier wurde die Kreide mit Wasser aufgeschlämmt, damit sich unerwünschte Bestandteile, wie beispielsweise Feuersteine, absetzen konnten. Danach wurde die Kreidetrübe über Absetzrinnen zu den Absetzbecken transportiert. Hier setzte die Kreide sich langsam am Grund der Becken ab und das Wasser wurde abgelassen und verdunstete. Aus den Absetzbecken wurde die Kreidemasse per Hand ausgeschaufelt. Dabei mussten die Arbeiter einen speziellen „Kniff“ anwenden, damit sich die Kreide nicht an den Schaufeln festsaugte und dort hängenblieb. In offenen Trockenschuppen trockneten die Kreidebatzen im Wind. Anschließend wurde die Kreide in Holzfässer eingestampft und somit für den Transport vorbereitet. Die Rügener Schlämmkreide gelangte z. B. per Schiff über die Häfen in Sassnitz und Polchow zu ihren Bestimmungsorten, u. a. nach Danzig oder Hamburg.
Bis 1962 gab es im Laufe der Zeit etwa 19 Kreidewerke auf der Insel, seither ist nur noch das Kreidewerk in Klementelvitz in Betrieb. Auf der gesamten Insel finden sich etwa 40 aufgelassene Kreidetagebaue, die meisten davon auf der Halbinsel Jasmund. Diese kleineren und größeren Abbaustellen, an denen früher das „weiße Gold“ der Insel gewonnen wurde, stehen heute unter Naturschutz und sind wertvolle Biotope für kalkliebende Arten, wie beispielsweise verschiedene Orchideengewächse. In der Kreidewerk Rügen GmbH in Klementelvitz werden heute Kreiden unterschiedlicher Feinheit hergestellt. Die Rügener Kreide ist ein Produkt mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, vom Düngekalk über die Rauchgasentschwefelung bis hin zur Reifen- und Kabelherstellung findet die Rügener Kreide Verwendung.
Auf der Insel Rügen können Sie die Kreide in mehrfacher Hinsicht genießen: Bei einem Spaziergang auf dem Hochuferweg an der Kreideküste im Nationalpark Jasmund erleben Sie die landschaftsästhetischen Reize dieses besonderen Gesteins. Ein weiterer sinnlicher Genuss der Kreide ist eine Anwendung mit der Original Rügener Dreikronen-Heilkreide.
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