Minus zwei Grad. Nieselregen. Ein Acker in Schaprode. Ein Mann mit so einem Bauchgefühl. Einer Vorahnung. Am Ende ein Fund, dessen kulturhistorischer Wert nicht messbar scheint. Der sogenannte Blauzahn-Schatz.
Sensationelle Entdeckung zwischen Schaprode und Poggenhof
Am 29. Januar 2018 fährt der Neuenkirchner Dachdeckermeister René Schön mit seinem Metalldetektor Richtung Westen. Sein Ziel ein Feld zwischen dem Ort Schaprode und dem Dörfchen Poggenhof. Es ist diesig, der Bodden und die vorgelagerte Insel Hiddensee schlecht auszumachen. Doch nicht der Ausblick interessiert den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger, sondern sein innerer Drang weiter zu suchen. Einen Tag zuvor war er mit dem 13-jährigen Ehrenamtsanwärter Luca bereits auf dem Acker unterwegs und der Detektor aktiv. Was die beiden fanden, ein Armreiffragment, eine Münze und ein Stück Silberschmuck, realisierte Schön erst Zuhause.
Von Historsichem und Archäologischem Interesse
In seiner Bibliothek ließ ein Buch die Bedeutung dieser Stücke vermuten. Eine Blauzahnmünze aus der Wikingerzeit. Eine Haitabu-Prägung des Wikingerkönigs Harald Blauzahn, der eigentlich Harald Gormsson hieß. Ein kleines 0,37 Gramm schweres Stückchen Silber in der großen, mit nasser Erde verschmutzten Hand eines historisch und archäologisch interessierten und bewanderten Nordmannes. „Nächsten Tag musste ich einfach genauer gucken. Nachdem ich innerhalb kürzester Zeit eine Schale voller Münzen gleicher Zeitstellung gesammelt hatte, wurde mir das Ausmaß erst bewusst. Ich rief sofort das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege an. Dr. C. Michael Schirren, unser Ansprechpartner für Bodendenkmale in Stralsund, stand 30 Minuten später hier auf dem Acker. Und dann alles streng geheim.
Bis April, bis zum Beginn der professionellen Ausgrabung, durfte niemand von der sensationellen Entdeckung wissen. René Schön, Mitglied der Ackerlöper, einer Gemeinschaft von Bodendenkmalpflegern der Insel Rügen, hielt Wache, fuhr jeden Tag hin, installierte Kameras, hütete den Schatz. Einen Schatz, der sich über 1100 Jahre versteckt hielt. Tief eingegraben. So tief, dass in der Zeit kein Pflug es vermochte ihn hervorzubringen.
Wertvolle Blauzahnmünzen mit Haitabugprägung
Blauzahn, König von Dänemark (ca. 936/958-987) und Norwegen (970-987), hatte Dänemark erstmals unter einer Krone geeint. Er wollte die Christianisierung im Dänenland durchsetzen. Allerdings führte ein Erbstreit mit seinem Sohn Sven Gabelbart dazu, dass dieser gegen ihn rebellierte. Eine auf der Ostsee geführte Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die legendäre Seeschlacht von Helgenes um 986, wahrscheinlich bei Bornholm, endete zugunsten des Königssohnes Sven. Nach nordischen Quellen traf während einer nächtlichen Kampfpause an Land den König ein Pfeil aus dem Hinterhalt, der ihn schwer verwundete. Harald Blauzahn konnte mit Getreuen aus der Schlacht entkommen und sich an den südlichen Teil der Ostseeküste im späteren Pommern retten, heißt es, wenn sich der Leser via Bluetooth mit Wikipedia verbindet.
Ein Schatz, dessen Bedeutung noch nicht abschätzbar ist
Tatsächlich ließ der heidnische Sohn Sven bereits die sogenannten Blauzahn-Münzen systemisch aus dem Verkehr ziehen. Das macht die Münzen so besonders und wertvoll, da Blauzahn sie damals aufgrund ihrer Seltenheit nur an wenige Personen in seinem direkten Umfeld vergab. Diese einst auf der Flucht vergrabene „Reisekasse“ wird es sein, auf die der 42-jährige René Schön und der 13-jährige Luca Malaschnitschenko 2018 stießen und damit einen Schatz fanden, dessen Bedeutung noch gar nicht richtig abzuschätzen ist. Die größte Ansammlung im südlichen Ostseeraum an Blauzahnmünzen mit Haitabuprägung, Münzen von England über Venezien bis hin nach Bagdad, was auch auf das Ausmaß der Handelswege der Wikinger schließen lässt.
Ein großes Repertoire an einzigartigen Fundstücken
„Wir haben insgesamt 125 ganze Münzen, 4 Halsringe, 1 Flechtkettenfragment, 5 Silberperlen, 49 einzelne Schmuckfragmente, 267 Hacksilberfragmente, Finger- und Ohrringe gefunden. Und einen Thorshammer“, berichtet Rene Schön, nicht ohne bei seinen Zuhörern an diesem Tag Gänsehaut zu bewirken, während er den Abdruck Mjölnirs an einer Kette befindlich von seinem Hals nimmt. Alle seine eigenen Funde sicherte er mit Abformmasse bevor sie zu den anderen, immerhin weiteren 900 Teilen der Ausgrabungen durch das LAKD nach Schwerin fanden, wo alles wissenschaftlich aufbereitet wird. Wem gehört der Schatz? Uns allen, meint der bärtige Rüganer, der auch einen guten Wikinger abgegeben hätte.
Das Selliner Museum Seefahrerhaus
Die Teile des legendären Blauzahnschatzes, wovon er rechtzeitig Abrücke nehmen konnte, fertigt er nun in seiner kleinen Werkstatt in Kopie an. Sie sollen in den nächsten drei Jahren in einer Sonderausstellung im Selliner Museum Seefahrerhaus präsentiert werden. Für die Einrichtung dieser war das Haus am See nun über die Wintermonate geschlossen und das Innere entkernt. Die zahlreichen Souvenirs der Lotsen und Kapitäne eingepackt: englische Kaminhunde, Bilder und Navigationsgeräte, Schiffsmodelle und Mobiliar. Doch wie präsentiert man etwas so Einzigartiges, so Aufregendes, so Sensationelles und überträgt die Begeisterung und das Schatzfieber auf Besucher?
Für solche Fälle haben die Selliner „ihren Galeristen“. Hei mokt dat schon. Und „Hei“ denkt: „Ich hänge Bilder an die Wand und stelle Skulpturen in den Raum. Ich hatte keine Ahnung, wie so etwas museal präsentiert wird, wie wir die Geschichte des Schatzes und die Geschichte des Fundes spannend erzählen können. Wie wir auf unterschiedlichen Ebenen informieren und verschiedene Signale geben können. Es handelt sich ja hier um einen klassischen Vater Sohn Konflikt, wobei älterer vorwärtsgewandt ein Multiplizierer im Ostseeraum war, während der andere, jüngere lediglich machtgierig“, so Knut Hartwich, der Kulissenbauer, wie er sich selbst betitelt, der dat fien mokt hätt.
Sonderausstellung zum Osterwochenende
Und so können die Selliner pünktlich zum Saisonstart am Osterwochenende die Sonderausstellung im Seefahrerhaus eröffnen. Dank der Idee und Unterstützung von René Schön, Ortschronist und jahrelangem Museumsleiter Gerhard Parchow und vielen weiteren Schatzjägern.
Text: Steffi Besch/KV Sellin
Foto: KV Sellin/Pocha
Öffnungszeiten:
Mo geschlossen
Di 10-15 Uhr, Vortrag 15-17 Uhr (bei Interesse bitte bis 15 Uhr pünktlich da sein, da Tür verschlossen wird)
Mi 10-12 Uhr Ortsführung ab Warmbadstraße 4, 12.30 Uhr bis 16 Uhr Museum
Do, Fr und Sa 10-16 Uhr
Sonntag 11-16 Uhr
Sonderöffnungszeiten zu Ostern:
Karfreitag bis Ostermontag jeweils 10-16 Uhr
Eintritt: 6 €, ermäßigt im Besitz einer Kurkarte der Insel Rügen 3 €, Kinder bis 12 Jahre frei ebenso wie Selliner Bürger mit ihrer Einwohnerkarte.
Weitere Information zum Seefahrerhaus Sellin gibt es hier.
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