Ein Haus wie ein Zuckerhut: Das Pfarrwitwenhaus und das Rookhus


Maik Brandenburg ist als Reporter weltweit unterwegs für Magazine wie Mare, Geo, Merian und Free Man's World. Auch, wenn das Reisen seine Leidenschaft ist: "Am Ende zählt, dass ich stets wieder auf Rügen lande", sagt er. Brandenburg lebt mit seiner... mehr

Rio de Janeiro hat seinen berühmten „Zuckerhut“. Der Felsen direkt am Meer ist längst zum Symbol der brasilianischen Metropole geworden. Auch Rügen hat seinen „Zuckerhut“. Besser: Es hat sogar mehrere „Zuckerhüte“. Bekannt, gar berühmt, sind sie aber dennoch nicht. Das kann daran liegen, dass es keine steilen Granitblöcke sind, sondern Häuser. Sehr alte Häuser sogar, das „Rookhus“ in Göhren etwa ist um die 300 Jahre alt. Ein paar weitere „Zuckerhüte“ stehen noch auf der Insel, die „Haasenburg“ auf Ummanz ist eine schmucke Ferienwohnung, das Pfarrwitwenhaus in Groß Zicker ein Museum, ebenso das besagte „Rookhus“ in Göhren. Jenes wurde kurz nach 1700 errichtet.

Das Rookhus und die Sturmflut

Damals zerstörte eine Sturmflut das kleine Mönchguter Dorf Vitte (bei Lobbe), eine der nunmehr obdachlosen Familien aus Fischerbauern baute sich das „Rookhus“. Der „Förderverein zum Schutz, zur Pflege und weiteren Entwicklung der Mönchguter Museen“ bemüht sich rührig um den Erhalt dieses Zeugnisses Rügener Lebensart. Ein neues Reetdach wäre nötig, Moos und Pilze wachsen heraus. Die das verwitterte Schilf bindenden Weidenruten sind bereits sichtbar. Sollte es dem „Rookhus“ ergehen wie den vielen anderen „Zuckerhüten“ der Insel?

Ein Dach in Form eines Zuckerhuts

Denn an sie erinnern meist nur noch vergilbte Fotografien. Die „Zuckerhüte“ waren beinahe quadratische Lehmkaten mit kaum mannshohen Wänden, den „Afsiden“ genannten Ausbauten, in denen die horizontal geteilte „Klöntür“ den Eingang bildete. Dazu kam das hohe Walmdach. Es lief spitz zu, ein schmaler Dachfirst war der Abschluss. Dieses Dach ist der Namensgeber der Häuser, er soll die Form eines Zuckerhuts haben. Man muss schon seine Phantasie anstrengen, um es genauso zu sehen.

Leben ohne Schornstein

Und noch mehr Phantasie braucht es sich vorzustellen, dass darin Leute gewohnt haben. Denn die „Zuckerhüte“ waren ursprünglich Rauchhäuser. Das heißt, sie hatten keinen Schornstein. Der Qualm zog erst durchs ganze Haus und schließlich durch Löcher in den Wänden, den Türen und im Dach ab. Auch durch das schüttere Schilf des Daches entwichen die Schwaden. Oft genug sah es dann aus, als ob das ganze Haus brannte.

Rauchfreie „Döns“ mit „Uttreckbett“

Nur die „Döns“ genannte Wohnstube mit dem „Uttreckbett“ (Ausziehbett) und der „Schlapbänk“ (Schlafbank) blieb rauchfrei. Neben einem kleinen Fenster gab es darin Löcher gegen den Wärmestau, die mit Lehmpfropfen verstopft waren. Das Feuer brannte in einem Kachelofen, der zur Küche hin in die Wand der „Döns“ eingelassen war. Erstaunlicherweise gibt es solche Kachelöfen auf Rügen schon seit dem 16. Jahrhundert, die Kacheln waren vorzugsweise in schwarz gehalten. Geheizt wurde mit Torf und Strandholz. Das Feuerloch des Ofens befand sich in der Küche, die Hausfrau kochte auf Dreigestellen, die auf Feldsteinen standen. Ein Platz an solch einem Kachelofen war begehrt: Ein Mann sicherte sich in seinem Testament vom Jahre 1680 sogar eine lebenslange Schlafstatt in dessen Nähe. Womöglich hätten ihn die Erben sonst in den Stall vertrieben.

Schweine, Kühe und Ochsen im Rauchhaus

Letzterer gehörte ebenfalls zum Rauchhaus. Schweine standen darin, eine Kuh zumeist, vielleicht der Ochse für den Pflug. Der Qualm, der übers Dach abzog, räucherte den knapp unterm First aufgehängten Speck und Schinken und hielt Ungeziefer fern. Das hohe Dach des „Zuckerhutes“ schaffte zudem einen großen Lagerplatz fürs Heu, dem Vieh soll das in der Tenne gelagerte Rauch-Futter besonders geschmeckt haben. Den menschlichen Bewohnern dagegen musste das Ganze mächtig gestunken haben. Mehr noch: In alten Aufzeichnungen ist von vielen Brust- und Lungenkrankheiten die Rede, wahrscheinlich als Folge der ständigen, kaum zu bändigen Vernebelung. Da wirkt es fast zynisch, wenn die Fischer auch noch eine jährliche Rauchsteuer zu begleichen hatten. Sie bestand aus einem Huhn.

„Tanz up de Deel“

Außerdem gab es die „Lucht“ einen kleinen, offenen Raum für die warme Sommerzeit. Eine weitere Kammer bot gerade Platz für ein Kinderbett. Daneben befand sich ein weiterer Mini-Raum, die „Haubuß“, zum Reparieren allerlei Zeugs. Etwa der hölzernen Sichel, mit welcher der Blasentang geerntet wurde, um ihn hernach als Dünger auf die Felder zu bringen. Oder der Seegraspresse, in der das getrocknete Seegras gepresst und dann als Füllmaterial in Kissen und Matratzen kam. In der lehmgestampften und mit Strandsand bestreuten Diele wurde das Getreide gedroschen, hier wurde aber auch gefeiert: „Tanz up de Deel“ mit dem Reigen „Schüddeldebüx“, da wackelten die Ständer aus Eichen-, Fichten- oder Buchenholz. Gegen den oftmals verheerenden Funkenflug waren die Balken mit Lehm und Dung bestrichen. In der Diele stand auch die große Truhe mit den Trachten der Fischerbauern. Darin die weiten weißen Pluderhosen, die roten Westen, die Hauben und Kittelschürzen, alles natürlich aus den selbstgesponnenen Leinen genäht. Auch die Tonkrüge mit dem konservierten Kohl, der riesige Vorratsschrank mit den gesalzenen Fischen, dem gepökelten Fleisch, dem Backobst und den Broten stand in der Diele.

Zucker dagegen gab es im „Zuckerhut“ wohl eher selten. Denn gerade etwas mehr als zwei Kilo, so ein Eintrag von 1731, kosteten seinerzeit soviel wie ein ganzer Hammel.

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