Beinah übersieht man dann die schmale, sandige Einfahrt mit dem kleinen hölzernen Wegweiser zum Skateboard-Verein „Rügen rollt!“. Es ist ein Oktobertag, wie er goldener nicht sein könnte. Beste Bedingungen für den offiziellen Saisonabschluss, zudem auch all jene ihren Weg über die Rügenbrücke gefunden haben, die der Insel aus beruflichen Gründen einst den Rücken gekehrt hatten. Nicht die kleinste Wolke trübt den Himmel, noch wärmt die Sonne. Nur eine alte, ausladende Eiche, durch deren dichtes Blätterdach winzige Lichtpunkte tanzen, wirft ihre Schatten auf die hellgraue Betonoberfläche. Sie ist fast spiegelglatt. Unwillkürlich spürt man den Drang mit der Handfläche über dieses fremd anmutende Gebilde aus Kurven, geschwungenen Linien, kleinen Hügeln und glatten Kanten zu fahren.
Zwischen Kiefernwäldchen und Ostseestrand
Drei Jahre ist es her, dass hier, ermöglicht durch Fördergelder des Landes, ein Skatepark an einem neuen Standort entstehen konnte, nachdem die ursprüngliche Anlage einem Supermarkt weichen musste. „Geplant haben wir den neuen Park mit einem 3D-Programm am Computer“, erzählt Björn Melms, neben Christoph Eder einer der Vorstände des Vereins. „Nach einer Woche wirft man dann die ganze Planung über den Haufen und fängt wieder von vorne an,“ sagt er lachend. Zwischendurch begrüßt der gebürtige Rüganer immer wieder Neuankömmlinge – von jung bis alt ist alles dabei – mit dem typischen Handschlag, bei dem sich erst die Handinnenflächen treffen und dann zu einem lockeren Fauststoß werden. Das englische Fist Bump aber trifft es hier vermutlich eher, denn der Sport ist untrennbar mit seinem englischsprachigen Jargon verbunden – eine eigene Sprache für eine eigene Welt: hier, zwischen Kiefernwäldchen, Ostseestrand und Urlaubsidylle, fernab der USA, der Wiege des Skateboardens. Ende der Fünfziger Jahre wurde dort das erste kommerzielle Skateboard auf den Markt gebracht, es sollte das Gefühl des Wellenreitens auf die Straße übertragen.
Wenn Skateboards Geschichten erzählen
Mit dem Deck (dem eigentlichen Brett), der Nose (der hochgebogenen Spitze des Boards), dem Tail (dem hochgebogenen Ende des Decks) und den Wheels. Letztere surren kaum hörbar über die glatte Fläche des Skateparks. Die Decks darüber sind so unterschiedlich wie ihre Besitzer selbst.
Während die meisten Skateboards auf der Oberseite schlicht mit schwarzem Griptape, einem rauen, rutschfesten Belag, beklebt sind, kommen die individuell gestalteten Unterseiten bei Flip Tricks zur Geltung, wenn sich das Board blitzschnell zwischen oder unter den Beinen des Fahrers dreht. Die eigentliche Liebe zum Skateboard zeigt sich aber nicht in den unterschiedlichen Designs, sondern in den unzähligen Kratzern und Abschürfungen am Brett – so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Sie erzählen Geschichten, die von der Beziehung zu ihren Fahrern handeln. „Manch einer würde sein Board zu einem romantischen Date ausführen, wenn er könnte“, meint der heute 27-Jährige, der die Liebe zum Skateboarden mit zwölf entdeckte, als er drei ausrangierte Bretter hinter einem Müllcontainer fand. Heute findet er selbst nicht mehr so oft die Zeit, selbst auf dem Board zu stehen. Die ungebrochene Faszination für den Sport ist ihm aber Antrieb und Begleiter zugleich, wenn er sich um die Belange des Vereins kümmert. Es ist ein Sport, dessen Grundgedanke der Spielraum, im besten Sinne des Wortes, ist.
Abseits von Leistungsdruck und Alltagsroutine
Konformität hat hier keinen Platz, hier gibt es keine festen Trainingszeiten, einheitlichen Trikots oder rumbrüllende Trainer: „Beim Skateboarden hat man einfach unendlich viele Möglichkeiten, es geht nicht ums Gewinnen, das ist das Besondere“, so Björn. Auch, wenn an einem Trick lange und bis zur Perfektion gefeilt werde, gehe es eher um den persönlichen Ausdruck der eigenen Individualität als um Anerkennung. Bei so vielen Möglichkeiten ist Scheitern nicht nur ein Nebenprodukt, sondern fest im Wesen dieses Sports verankert. Es erklärt auch, warum viele Kinder und Jugendliche der Insel immer wieder hierherkommen, um zu rollen. Der Verein bietet ihnen einen geschützten Raum, abseits schulischen Leistungsdrucks und straffer Alltagsroutinen. Fehler sind beim Skateboarden nicht nur unvermeidbar, sondern unerlässlich, um sich weiterentwickeln zu können. „Hier muss man zuallererst das richtige Fallen lernen“, betont Björn und schmunzelt.
Man spürt, woher er neben seinem Job im Krankenhaus die Energie nimmt, sich so für den Verein zu engagieren. Das Leuchten in seinen Augen verrät ihn, wenn er von Begegnungen mit den Menschen hier im Skatepark erzählt. Inzwischen wirft die Sonne lange Schatten, der kleine Garten am Ende des Parks bekommt noch ein paar Strahlen ab. „Unser neues Gartenprojekt“, berichtet Björn, „wir wollen uns ja auch um alles drum herum ein bisschen kümmern“. Die Luft wird kühl, sie riecht nach Salzwasser und Kiefernharz. Jemand hat ein paar Würstchen auf den Grill gelegt. Noch immer summen die Wheels auf dem hellgrauen, seidig glatten Beton. Rügen rollt.
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