Daran, von Rügen überrascht zu werden, bin ich eigentlich gewohnt. Von der Natur, wenn sich hügelige Landschaften mit rauen Küstenstrichen und dichten Märchenwäldern abwechseln. Von der Kultur, wenn klassische Musik in einer Scheune gespielt wird und nebenan am Strand zu Elektro getanzt. Von der Architektur sowieso, wenn UFO, Schloss und Koloss in trauter Einigkeit stehen. Auch jetzt ging es mir wieder so, als ich der Einladung ins Rügen-Hotel in Sassnitz zur Jubiläumsfeier folgte. Ja, genau, dieser „Betonklotz“, ein Spitzname, der dem Haus bei genauerer Betrachtung nicht gerecht wird. Eben das habe ich nun vor: Die genauere Betrachtung des Hotels, das seit inzwischen 50 Jahren das Stadtbild von Sassnitz prägt.
Stockwerk um Stockwerk: Zwischen Kuriositäten und Erinnerungen
Hinter einer Biegung taucht es plötzlich auf, überrascht in seiner Wuchtigkeit mit beharrlichem Grau, das sich vom Blau des Himmels abhebt. Immer wieder kann man hier Leute beobachten, die direkt darunter stehen, mit der Hand die Augen abschirmen, während ihr Blick nach oben schweift. Das halbe Jahrhundert wird natürlich gefeiert. In der Broilerbar, die neuerdings übrigens wieder geöffnet hat.
Ringsum Erinnerungen: die lebendigen, die die vielen Menschen mitgebracht haben, die hier ihrer Arbeit nachgingen. Und die stummen Zeugen aus Papier – die vielen Dokumente, die zu diesem Anlass aus dem Sassnitzer Stadtarchiv hierhergebracht wurden. Die Fülle ist faszinierend. Von Hand skizzierte Baupläne sind ebenso dabei wie die Speisekarten der einzelnen Silvester-Menüs, die hier über die Jahre serviert wurden. Da wundert man sich nicht nur, dass es im Winter Spargel gab, oder über das Anpreisen von gebutterter Ananas, sondern auch über die ungewöhnliche Kreativität, mit der jede einzelne Menükarte gestaltet wurde. Allein die – und das ganz und gar zu Recht – sind bis heute Kult. Ebenso wie die Telefonanlage oder das Faxgerät aus den Sechzigerjahren. Längst sind das nicht alle Kuriositäten, die das Rügen-Hotel zu bieten hat.
Auf der „Bucket List“: Kaffee und Kuchen im Panorama Café
In seiner Rede erinnert Frank Kracht, Bürgermeister der Stadt Sassnitz, an das Schwimmbad des Hotels, das ursprünglich ohne Dach geplant und gebaut wurde. Herrlich sei es gewesen, so an der frischen Luft mit Blick auf die See. Allerdings nur, bis auch die Möwen den Pool für sich entdeckten. Ein Dach musste also drauf, eines, das in den Siebzigern kein Geringerer als Ulrich Müther baute.
Und dann darf ich es mir auch von innen anschauen, bei einer Hausführung, die mir spannende Einblicke gewährt. Sie beginnt am Schwimmbad, das mich irgendwie in seinen Bann zieht: dieses satte Grün draußen, dieses schimmernde Blau drinnen! Weiter geht die Tour oder besser gesagt hinauf. Denn das ist es, was man im Rügen-Hotel unbedingt tun sollte. Ob als Einheimischer, Urlauber oder Tagesgast. Es gehört wirklich auf die Sassnitz-To-Do-Liste: Kaffee und Kuchen im Panorama Café im 10. Stock. (Und das nicht nur, weil Hotelbesitzer Gerd Raulff jeden Morgen und höchstpersönlich die Torten und Kuchen aus dem Rosencafé Putbus abholt.) Der Name ist Programm: Wer es betritt, mag für einen Moment hin- und hergerissen sein, ob Tortenvitrine oder Blick aufs Wasser die erste Aufmerksamkeit bekommen.
Gute Aussichten: Über den Dächern der Hafenstadt Sassnitz
Aber dann ist es doch leicht: dieser Blick! Dieser Blick! Freie Bahn durch große Panoramafenster, dahinter nichts als Blau. Und heute ein Streifen türkisfarbenes Wasser, das sich hinter der Mole gesammelt hat, eingefärbt von Kreide. Ein paar Augenblicke später stehe ich auf dem Dach. (Eine absolute Ausnahme, der Blick vom Café ist aber genauso schön.) Und werde fast weggepustet. „Bitte nicht näher ran als zwei Meter“, warnt die Begleitung. Die Aussicht ist atemberaubend. Im Rücken erheben sich die baumbedeckten Anhöhen, deren Blätterwerk den Herbsteinzug nicht mehr leugnen kann.
Links die Altstadt mit der terrassenartigen Anordnung der schönen, weißen Villen, rechte Hand das jüngere Sassnitz mit der wie schwebenden Fußgängerbrücke, der Mole, dem Leuchtturm. Den Blick nach vorn gerichtet wird man gefangengenommen von der Ostsee, ihrem Wellenspiel, das von hier oben wie seichtes Plätschern aussieht, wären da nicht die weißen Schaumkronen und ein paar Möwen, die in der Ferne wild hin und herschaukeln. Wie schön muss hier der Sonnenaufgang sein, denke ich. Längst bezaubert von einer Schönheit, die einen manchmal da am härtesten trifft, wo sie unerwartet ist, rau und unprätentiös.
Dann geht es wieder treppab, wo ich mir noch zwei der Zimmer anschauen darf, die modern und kommod eingerichtet sind und deren schönstes Dekoelement der Blick aufs Wasser ist. Am Ende des Ganges befindet sich die spiralförmige Feuertreppe und ich erfahre, dass es eines der beliebtesten Sassnitzer Fotomotive bei instagram sei. Unten angekommen, probiere ich es auch einmal. Aber eigentlich will ich nur eins: Wieder hoch.
Übrigens: Das Hotel soll in den kommenden Jahren umfassend saniert werden. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
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