Blendend weiße Fassaden, verspielte Türmchen, kleine Erker und verzierte Balkone prägen das Bild des Ostseebades. Sie verzaubern all jene, die an den Bädervillen mit phantasievollen Namen wie „Quisisana“, „Glückauf“ oder „Sturmvogel“ vorbeischlendern. Nur zu gern würde man einmal einen Blick ins Innere der Villen werfen. Wie sieht es hinter den kunstvollen Holzschnitzereien aus? Was verbirgt sich wohl hinter den großen Bogenfenstern, in denen sich die Wolken spiegeln? Wie schön muss der Ausblick von den Veranden auf die Ostsee sein? Wie gut, dass es in Binz aktuell heißt: „Hereinspaziert“. Jetzt im Mai dreht sich in Binz alles um die Bäderarchitektur, jeden Donnerstag gibt es Führungen zu den Bädervillen des Ostseebades.
Der wagemutige Wilhelm und das erste Strandhotel
Auch meine Neugier ist geweckt, als ich mich aufmache zum Haus des Gastes, wo unsere Tour startet. Dort wartet schon Marita Boy, in einem Kostüm, das uns mitnimmt in eine Zeit, in der das Baden im Meer gerade erst in Mode kam, der Urlaub an der Ostsee noch in den Kinderschuhen steckte. Gerade einmal 80 Badegäste zählte Binz um 1870. Keine 20 Jahre später entstand das erste Strandhotel, das Wilhelm Klünder dort errichten ließ, wo sich heute das Grand Hotel befindet: unsere erste Besichtigung bei dieser Tour.
Für verrückt hätten die Einheimischen den Bauherren erklärt, berichtet Marita Boy. So dicht am Meer zu bauen! „Wird schon noch sehen, was er davon hat, wenn die ersten Stürme kommen“, ahmt Marita Boy den Ton der Leute von damals nach und macht so längst vergangene Tage wieder lebendig. „De Luftschnapper“ und „De Baders“ – so nannten die Einheimischen die ersten Urlauber in norddeutscher Freundlichkeit. Nicht ahnend, dass Wilhelm Klünder mit seinem Strandhotel nur der Anfang war. Denn als klar wurde, dass die Villa doch nicht, wie vorhergesagt, von Wind und Wellen weggepustet wurde, zogen andere nach.
Binz entwickelte sich vom Fischerdorf zum Badeparadies. Anstelle des einstigen Fachwerkbaus im Schweizer Stil des Herrn Klünder ist das Grand Hotel heute ein Beispiel für schlicht-moderne Bäderarchitektur. Im Inneren dezenter Luxus. Hier erfahren wir unter anderem, dass seit vielen Jahren zwei ältere Damen hier ihren Urlaub verbringen. Während die eine stets ein Zimmer mit Blick auf den hinter dem Hotel liegenden Wald bucht, mietet die andere eines mit Blick aufs Meer. So hätten sie stets die Möglichkeit, je nach Stand der Sonne, den Balkon der anderen zu nutzen.
Die Villa Haiderose: „Ich war hier allein, aber nicht einsam“
Auf unserem Weg zum nächsten Haus erfahren wir noch etwas zum Mütherturm und zur heutigen Außenstelle des Standesamtes Binz, das vis-à-vis zum Grand Hotel steht. „Hier sieht man die Paare oft Schlange stehen,“ erzählt Marita Boy. Und dann stehen wir auch schon vor der Villa Haiderose, eine der kleinsten Bädervillen an der Promenade – und eine der schönsten – mit dem liebevoll angelegten Garten, dem turmartigen Risalit (vorspringender Gebäudeteil), den mit Holzschnitzereien verzierten und verglasten Veranden.
Erstmals 1896 eröffnet, übernahmen Herbert und Charlotte Ostermoor die Villa in den 1990er Jahren in erbärmlichem Zustand. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Auch im Inneren strahlende Sommerfrische. In eine der Ferienwohnungen dürfen wir einen Blick werfen, sonniges Gelb an den Wänden, das mit dem Weiß des Balkons um die Wette strahlt. Liebevoll ausgesuchte Details lassen Urlaubsgefühl aufkommen. Ein Gästebucheintrag aus dem Jahr 2000 beschreibt es noch besser: „Hier ist alles leise, harmonisch und von unaufdringlicher aber eindringlicher Schönheit. Ich war allein hier, aber nicht einsam.“ Zu gehen fällt tatsächlich ein bisschen schwer, als wir uns auf den Weg machen zum Haus Königseck.
Sonnenuntergang über dem Schmachter See
Hier werden wir kulinarisch verwöhnt und erfahren derweil etwas über das Fräulein Elisabeth von König, die das Haus 1887 errichten ließ. Selbst leidenschaftliche Malerin wollte sie hier eine Malschule gründen. Als sie krank wurde, musste sie dieses Vorhaben aufgeben und so wurde aus dem Haus ein Fremdenheim. Heute ist es ein Gästehaus des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband e. V.. Es steht allen Gästen offen und auch sozial schwache Familien werden mit der Antragstellung auf einen Urlaub im Haus Königseck unterstützt.
Im Anschluss bekommen wir noch eine kleine Hausführung. Im oberen Stockwerk wurde ein Stück des historischen Treppengeländers erhalten. Von hier oben bietet sich ein wunderbarer Ausblick auf Binz und den Schmachter See. Besonders schön soll der sein, wenn die Sonne über dem See untergeht, doch so lange können wir leider nicht warten, denn Marita Boy führt uns zum Haus Sanssouci.
Ein Thron für eine Villa
Nur soviel: das Wort „thronen“ wurde für diese Lage erfunden. Auf einem steil ansteigenden Hügel steht das Haus in trauter Nachbarschaft zur Evangelischen Kirche, die Anfang des 19. Jahrhunderts im neugotischen Stil errichtet wurde. Das Haus Sanssouci selbst steht an diesem Platz seit etwa 1899, damals noch unter dem Namen „Johannashorst“. In einem Reiseführer von 1900 steht geschrieben, das Haus sei „hoch am Wald gelegen“. Bis heute hat die Lage jedenfalls nichts von ihrer Idylle eingebüßt.
Nach einem Blick in das Innere dieses architektonischen Schmuckstücks werden wir mit einer warmen Suppe und einem Gläschen Rotwein von der Hausherrin verwöhnt. Unter der mit Holzschnitzereien verzierten Veranda steht die Gruppe, vertieft in angeregte Gespräche nach dieser spannenden Führung, den Blick ins Grüne gerichtet, durch das goldene Lichtpunkte tanzen.
Kommentare sind geschlossen.