Nach Rügen reisen heißt nach Sassnitz reisen. Von Theodor Fontanes Effi Briest ist es vornehmlich dieser Satz, der Vielen im Gedächtnis geblieben ist – und gerne zitiert wird. Effis Rügen ist allerdings vielschichtiger, symbolträchtiger, denn Fontane setzt die Landschaften der Insel als Abbild der Seele Effis ein. Zur Erklärung: Als Effi mit Baron von Innstetten die Reise nach Rügen antritt, ist die kurze, aber intensive Affäre mit Major Crampas längst Geschichte. Das Ehepaar hat Kessin (nach dem Vorbild Swinemündes) verlassen und ist nach Berlin gezogen. Effi bemüht sich um ihre Ehe und lebt doch in ständiger Angst, dass ihre Verfehlung eines Tages ans Licht kommen wird. Nun also Urlaub.
„Wir wollen doch baden…“
Eigentlich wollte das Paar die Oberammergauer Spiele in den bayerischen Alpen besuchen, doch etwas kommt dazwischen und so entscheidet sich Innstetten für Rügen: „Zunächst natürlich Stralsund, mit Schill, den du kennst, und mit Scheele, den du nicht kennst und der den Sauerstoff entdeckte, was man aber nicht zu wissen braucht. Und dann von Stralsund nach Bergen und dem Rugard, von wo man, wie mir Wüllersdorf sagte, die ganze Insel übersehen kann, und dann zwischen dem Großen und Kleinen Jasmunder-Bodden hin, bis nach Saßnitz. Denn nach Rügen reisen heißt nach Saßnitz reisen. Binz ginge vielleicht auch noch, aber da sind – ich muß Wüllersdorf noch einmal zitieren – so viele kleine Steinchen und Muschelschalen am Strand, und wir wollen doch baden.“
„Das ist ja Capri, das ist ja Sorrent…“
Fontane selbst war 1884 auf die Insel gereist, auf der gleichen Route von Berlin über Stralsund bis nach Sassnitz. Dort war er im Hotel Fahrnberg untergebracht. Viele Details seines eigenen Urlaubs finden sich im Roman wieder, allerdings plagten ihn wohl auch Erinnerungslücken, wie mir Frank Biederstaedt, Leiter des Stadtarchivs und Fontane-Kenner in Sassnitz erzählt. So kommen Effi und ihr Mann im Hotel „Fahrenheit“ unter, was Innstetten zu einem Wortwitz verleitet: „Die Preise hoffentlich nach Réaumur“. Beides Temperatureinheiten, spielt dies wohl darauf an, dass Fontane Sassnitz, wie aus seinen Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, als etwas kostspielig empfand.
In bester Laune unernehmen die Eheleute noch am Tag ihrer Ankunft einen Spaziergang zu den Klippen und Effi ist entzückt: „Ach, Geert, das ist ja Capri, das ist ja Sorrent. Ja, hier bleiben wir.“ Doch, was sie zunächst an „La Dolce Vita“ erinnert, wird schon bald bedrohlich. Das Ehepaar beschließt, das Hotel zugunsten einer Privatwohnung aufzugeben. Gleich am nächsten Morgen macht sich Effi auf die Suche, während Innstetten Geschäftsbriefe beantwortet.
Sassnitz und Crampas
Vorbei an Häusergruppen und Haferfeldern und durch eine Gasse, die „(…)schluchtartig auf das Meer zulief“, erreicht Effi ein kleines Gasthaus, in dem sie sich einen Sherry genehmigt und mit dem Wirt ins Gespräch kommt. In Sassnitz noch eine private Unterkunft zu finden, sei schwierig, meint der, „(…)aber weiterhin am Strand, wo das nächste Dorf anfängt, Sie können die Dächer von hier aus blinken sehen, da möcht es vielleicht sein.“
Tatsächlich wurde der aufstrebende Badeort seit den 1850er Jahren mehr und mehr frequentiert und litt bereits Ende der 1860er Jahre unter mangelnden Beherbergungskapazitäten, so dass Badegäste sogar desöfteren wieder abreisen mussten. Besonders bei Berlinern erfreute sich Sassnitz großer Beliebtheit. Dafür sogrte auch der Bankier Adolph von Hansemann (1826-1903), der sich in Dwasieden ein Schloss bauen ließ, dessen Gästebuch sich wie das „Who´s who“ des Kaiserreichs liest. Sogar der Kaiser selbst war 1895 hier zu Gast. Als Effi sich nach dem Namen des Dorfes erkundigt, glaubt sie ihren Ohren nicht zu trauen, denn der Wirt antwortet: „Crampas“.
Ausflug zum Herthasee
So vielversprechend die Reise angefangen hat, so erdrückend wird für Effi nun die Schuld, die sie mit dem Namen des Majors verbindet. Später macht sie sich zusammen mit Innstetten auf den Weg zur Stubbenkammer, wo das Paar hofft, eine Unterkunft zu finden und einen Ausflug zum Herthasee unternimmt. Tief in den dichten Buchenwäldern Jasmunds gelegen, ranken sich bis heute Sagen und Mythen um den Herthasee. Fontane hätte wohl keinen besseren Ort finden können, um Effis düsteres Geheimnis zu verbildlichen.
Effi, ohnehin in gedrückter Stimmung, kann sich dieser mystischen Atmosphäre kaum entziehen. Sie erkundigt sich nach einem der Opfersteine und fragt den Reiseführer, der sie begleitet, wozu denn die Rinnen da seien. Als der antwortet: „Daß es besser abliefe, gnäd’ge Frau“, ist alle unbefangene Urlaubsfreude endgültig dahin. „(…) gestern war es dir noch der Golf von Neapel und alles mögliche Schöne“, sagt Innstetten, der Effis Unbehagen nicht versteht. Und sie antwortet: „es ist Sorrent, als ob es sterben wollte“. Mit dem Stettiner Schiff treten sie daraufhin die Reise nach Kopenhagen an, ihrem Geheimnis kann Effi jedoch nicht entfliehen. (Achtung, Spoiler!) Wenige Wochen später entdeckt Innstetten die Liebesbriefe, die zu einem Duell, dem Tod Crampas´und letztendlich auch zum Tod Effis führen. Neben der Idee für Effi Briest schrieb Fontane, der 2019 seinen 200. Geburtstag feiert, während und nach der Rügenreise noch drei weitere Exposés. Leider kam es nicht mehr zur Vollendung der „Oceane von Parceval“ und des „Likedeeler“.
Die Stadt Sassnitz plant in diesem Jahr eine Veranstaltung zu Ehren Fontanes. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
2 Kommentare
16. April 2019 | 18:11
Ein sehr schön geschriebener Artikel, nicht nur journalistisch, sondern vor allem auch mit liebe zur Insel, die sich auf den Leser überträgt. Schade nur, dass so etwas kaum mal einen anerkennenden Kommentar erhält. Von mir jedenfalls ein klares „Daumen hoch“.
17. April 2019 | 07:22
Hallo Herr Probst,
vielen Dank für das Lob, darüber freuen wir uns natürlich sehr!
Herzliche Grüße
Claudia Große