„Da! Da war was! Ganz sicher. Es sah aus wie ein kleiner schwarzer Ball.“ Die Dame neben mir stellt ihr Fernglas schärfer. Doch was sie gerade so aufgeregt hat, bleibt verschwunden. War es eine Robbe oder nicht? „Ganz sicher“, wiederholt die Dame. „Eindeutig. Der Kopf. Ich weiß doch, wie Robben aussehen.“
Wir anderen auf dem Boot entsichern unsere Fotoapparate, putzen noch mal die Linsen der Ferngläser und lassen jetzt keinen Blick mehr vom Wasser. Wer wird der nächste sein, der eine echte Ostseerobbe zu Gesicht kriegt? Denn dazu sind wir schließlich hier, mitten auf dem Greifswalder Bodden, unterwegs mit der MS „Sundevit“ vom Hafen Lauterbach zum Großen Stubber.
Nach ungefähr einer Stunde Fahrt sehen wir unser Ziel. Beziehungsweise, wir sehen es nicht, denn der Große Stubber ist eine Sandbank. Dicht unterm Wasser ist sein felsiger Grund, jahrzehntelang haben Fischer hier Steine „gezangt“, also die Brocken mit langen hölzernen Stangen herausgeholt. Straßen wurden daraus gebaut, Häuser oder Molen. Aus der einstigen Insel wurde eine Untiefe. Nicht mehr als ein paar von den Wellen überspülte Findlinge sind geblieben, Rastplatz für Möwen, Meeresenten und Kormorane.
Bei Niedrigwasser auch für die Kegelrobben, die es seit ein paar Jahren wieder im Greifswalder Bodden gibt. Die Robben sind nicht neu hier, sie sind heimgekehrt. Vor über 100 Jahren gab es an die 100.000 Exemplare in der Ostsee. Zu viele für die Fischer, denen sie die Heringe aus den Netzen stahlen. Die genervten Seeleute setzten Kopfprämien auf die Robben aus. Das wirkte, schon in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden keine Robbe mehr vor Rügens Küste gesichtet.
Doch das hat sich geändert. An die 40 Individuen haben die Ranger des Biosphärenreservates Südost-Rügen bislang gezählt. Die meisten rund um den Großen Stubber, dem wir uns jetzt in Schleichfahrt nähern. Wir hoffen auf unser Entdeckerglück, eine Robbensichtung ist nämlich nie garantiert. Schließlich sind Kegelrobben keine dressierten Haustiere, sondern echte Wildtiere. Mehr noch: Sie sind sogar die größten Raubtiere Deutschlands. Der Nebel des Morgens hat sich verzogen, es ist fast windstill. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint. Die Chancen steigen, die Kegelrobben beim Sonnenbaden zu erwischen.
Atemlose Stille an Bord, nur das Tuckern des Schiffsdiesels ist zu hören. Flachwasser ist gemeldet, das ist gut. Immer dichter fährt die „Sundevit“ an die Untiefe, die Farbe des Wassers wechselt vom silbrigen Grau ins Dunkelgrüne, dann ins Hellgrüne. Die „Sundevit“ stoppt. Noch näher und wir würden auflaufen. Zwei dicke, gefleckte Steine ragen in Steinwurfnähe aus dem Wasser. Die Steine bewegen sich. „Robben!“, ruft jemand.
Da liegen sie und kümmern sich nicht um uns. Zwei ausgewachsene, wunderschöne Exemplare von Halichoerus grypus. Die eine etwas heller, vielleicht ein Weibchen. Die andere Robbe scheint größer, dunkler, es könnte das Männchen sein. Träge lümmeln sie auf der Sandbank, den Bauch sicher voll mit Heringen. Als die Kameras klicken, wendet sich das Männchen uns zu. Er dreht sich Richtung Schiff und hebt die Schwanzflosse. Es wirkt, als setzte er sich in Pose. Und dann, es ist nicht zu fassen, hebt er die Seitenflosse und – winkt. Tatsächlich, vor uns liegt eine winkende Kegelrobbe. Beseligt lächle ich sie an.
Ich könnte schwören, dass sie zurückgelächelt hat.
Pic credit: Florian Melzer
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