Die Kapelle von Vitt – eine kleine Zeitreise


Holger Vonberg ist gebürtiger und bekennender Rüganer. Sein Berufswunsch als Zweijähriger: „Urlauber Baabe“. Das hat nicht ganz geklappt. Ab 1991 war er als Journalist u. a. für den NDR, die OZ und den „Urlaubs-Lotsen“ auf der Insel unterwegs. Bis März... mehr

Januar 2017: Eine Busgruppe aus München besucht das Kap Arkona. Mit leuchtenden Augen erzählt der Reiseleiter, dass es in Vitt eine Kapelle gibt. „Wos spuit denn de Kapej?“, will ein grantiger Bayer wissen, der sich Deutschlands größte Insel „vui gloaa“, also viel kleiner, vorgestellt hatte. Fordernd und auf Antwort wartend wippt nicht nur sein Kopf, sondern auch der Gamsbart auf seinem Hut.

„Die Kapelle spielt. . .“, der Reiseleiter macht gütig lächelnd eine kleine Kunstpause, „. . . eine wichtige Rolle in der Geschichte und Gegenwart der Halbinsel Wittow. Und natürlich auch in der Zukunft.“

„Warum städ de denn do?“,

wippt der Gamsbart nun noch neugieriger. Was der Reiseleiter jetzt erzählt, lässt seine Busgruppe staunen, denn so etwas kennen die Bayern aus ihrer Heimat nicht. Er erinnert an die vielen Fischer, die in Vitt einst ihrem Handwerk nachgingen. Im Frühjahr und Herbst fuhren sie hinaus zu den riesigen Heringsschwärmen, die nicht nur die Augen der Fischer, sondern auch die Tromper Wiek zum Leuchten brachten, weil die abertausenden Fische wie Teppiche aus purem Silber im Licht der Sonne und des Mondes glitzerten.

Der Hering: Brotfisch, Handelsware, (Über)Lebensmittel, heute regionale Delikatesse. Der Rüganer Holger Teschke hat diesem Fisch sogar ein ganzes Buch gewidmet. Eine Rezension dazu ist bei uns Inselexperten hier im Onlinemagazin zu finden. Doch zurück zu den Fischern von Vitt, die oben auf dem Kliff als „Utkieker“ Ausschau nach den Schwärmen hielten und keine Zeit hatten, zum Gottesdienst in das etwa 8 Kilometer entfernte Altenkirchen zu wandern.

„Kommen die Fischer nicht zu mir, dann kommt die Kirche eben zu ihr“,

sagte sich der umtriebige Pfarrer Ludwig Theobul Kosegarten (1758-1818). Sprach´s und kümmerte sich um Spenden und andere Fördermittel. Und da Kosegarten damals noch kein Internet hatte, um eine aufblasbare Kirche (die gibt es heute tatsächlich) per Klick im Netz zu ordern – ließ er eben 8-sam (und 8 Kilometer von Altenkirchen entfernt) eine 8-eckige Kapelle ganz herkömmlich auf einem Feldsteinfundament mauern, verputzen und mit Schilf decken.

Kein Geringerer als der Schwedenkönig Gustav IV. bewilligte den Bauantrag. Und sogar König Friedrich August von Sachsen und die Königin von Bayern (!) spendeten dem Vorhaben nach einem Bittbrief Kosegartens nicht nur ihre geschätzte Aufmerksamkeit, sondern auch so manch güldenen Taler.

Kosegarten hatte natürlich auch zum Allmächtigen einen heißen Draht. Als eines Tages wichtiges Baumaterial fehlte, schickte der Himmel ihm einen lang anhaltenden Ost-Sturm und damit mehrere Fuhren Sand an den Strand, schrieb Pastorin Katharina Coblenz in ihrem Buch „Hier ist gut sein“, 1991 erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin.

In diesem Buch mit Kommentaren zu Kosegartens Uferpredigten fanden die Inselexperten auch ein wunderbares Bild: Im Jahre 1807 hatte der Künstler Anton Heinrich Gladrow nämlich einen Moment des Rohbaus in einer Skizze festgehalten. Gladrows Stil erinnert an Caspar David Friedrich, der wie er einst Schüler von Johann Gottfried Quistorp war.

Jener Johann Gottfried Quistrop zeichnete sich nicht nur als Universitätsbaumeister und akademischer Zeichenlehrer in Greifswald aus. Er leitete auch den Zeichensaal der Universität und legte somit den „Grundstein“ für das spätere Caspar-David-Friedrich-Institut der Universität Greifswald, die vor wenigen Tagen den Namen „Ernst-Moritz Arndt“ abgelegt hat. Dass jener Arndt von 1796 bis 1798 die Kinder von Kosegarten in Altenkirchen unterrichtete, sei nur am Rande erwähnt, damit sich der Kreis auch wirklich schließt.

Hier nun das Bild von Gladrow mit dem noch freien Blick zum Fischerdorf Vitt und aufs Meer.

Skizze von Gladrow 1807

Zurück in die Gegenwart. Der Zahn der Zeit hat an der Kapelle genagt. Wieder einmal, denn die Lage am rauen Nordkap der Insel verlangt nicht nur den Menschen sondern auch den Gemäuern oft viel ab. Der Reiseleiter erinnert sich noch an Bilder aus den 70er und 80er Jahren, als kein Schilf mehr auf dem Kapellendach war und der Wind durch Kuppel und Dachstuhl pfiff. Von der Fassade bröckelt auch jetzt wieder der Putz wie angetrocknete Rügener Heilkreide von der Haut. „Des sieht heid aba aa ned guad aus. Do miassad wos gmacht wern“, kommt eine bekannte Stimme aus dem Hintergrund.

„Und wia gäds ‚etz weida mid da Kapej?“,

will der nun gar nicht mehr so grantige Bayer auf Rügen wissen, also – wie es um die Zukunft der Kapelle von Vitt bestellt ist. „Die frohe Botschaft wurde am letzten Tag des Jahren 2016 in einer Tageszeitung auf der Insel verkündet“, freut sich der Reiseleiter. „2017 erhält die kleine Kapelle eine große Schönheitskur. Das hat sie sich auch verdient.“

Die Schönheitskur werde aber nicht so lange dauern wie der Bau, der sich von 1806 bis zur Weihe im Jahre 1816 hinzog. „Im Frühjahr oder Sommer startet die Sanierung. Und 2017 soll sie auch abgeschlossen sein“, so Nordrügens Pfarrer Christian Ohm, der die Tradition der Uferpredigten seines Vor-Vor-Vor-Vorgängers pflegt.

hv Uferpredigt Pfarrer Christian Ohm

Der Kopf des Bajuwaren mit Hut und Gamsbart verneigt sich anerkennend: „Do legst di nieda. Ja, so sans, de Menschn auf da Insl Rügn!“

hv Vitt von See aus

Und hier beschreiben unsere kleinen Inselexperten in der Serie „Dingens – Rügen von A bis Z“ mit ihren eigenen Worten das kleine Fischerdorf Vitt, wo auch die Kapelle steht.

Lesen Sie was die Inselkinder zu Vitt zu sagen haben:  „Dingens – Rügen von A bis Z“ – Vitt

 


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