Vom Weihnachtsmann, der das Fest der Liebe mal anders feiern wollte


Seit 2004 arbeitet Janet Lindemann als Freie Journalistin auf der Insel Rügen. Sie interessiert sich besonders für die Themen Kultur, Natur, Tourismus und Reisen. Ihre Text- und Bildbeiträge erscheinen unter anderem im Sommer-Magazin der Ostsee-Zeitung, dem Magazin für schlaue Eltern... mehr

Schneeflocken tanzen am Abendhimmel. In den Fenstern leuchten Sterne und in den Stuben duftet es nach ofenfrischen Plätzchen. Den Kopf auf die Hände gestützt, sitzt der Weihnachtsmann gelangweilt an seinem Schreibtisch. Inmitten
von hundert Geschenken. „Weihnachten. Schon wieder ist ein Jahr vergangen. Und wieder werde ich mit meinem Schlitten über Rügen fahren und Teddybären, Autos und Puppen an die Kinder verteilen.“ Der bärtige Alte ist unzufrieden.
„Jedes Jahr das gleiche.“ Mürrisch blickt er zu den Postkarten an seiner Wand. „Spanien. Griechenland. Italien. USA. Ich hab’s!“, schreit er auf und springt mit einem Satz vom Stuhl, der nach einigem hin- und herwackeln schließlich
umkippt. „Ich werde meine Kollegen anrufen. Alle sollen sie kommen. Es muss uns doch gelingen, das Weihnachtsfest in diesem Jahr etwas bunter zu gestalten.“

Fünf Tage später sitzt der Weihnachtsmann mit seinen Kameraden aus allen Herren Ländern an einem Tisch.

„Liebe Freunde, Weihnachten steht vor der Tür“, beginnt er seine Rede, „seit Jahren feiert jedes Land dieses Fest auf seine Weise. Lasst uns überlegen, was wir tun können, um den Feiertagen etwas mehr Glanz zu verleihen.“ „Eine großartige Idee“, klatscht Santa Claus in die Hände. Auch Rudolph, das rotnäsige Rentier, ist begeistert. „Wie wird eigentlich bei euch in Deutschland das Fest der Feste gefeiert? Bei uns in Spanien zelebriert man Weihnachten zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar“, meldet sich ein Junge zu Wort, der in diesem Jahr in Spanien den Priester spielen darf. Diese Zeremonie bildet in seinem Heimatland den Höhepunkt der Feierlichkeiten. „Diese Rolle könnte ich doch übernehmen“, sagt der muntere Rudolph, der extra aus den USA angereist ist. „Und wie geht es bei euch Weihnachten zu?“, möchte der Weihnachtsmann aus Österreich wissen. „Von den gigantischen Umzügen durch Amerika wirst du sicherlich schon gehört haben. Auch, dass das Fest der Liebe mit der ganzen Familie gefeiert und ein Truthahn verspeist wird“, erklärt Rudolph. Der Weihnachtsmann streicht sich über seinen Rauschebart.

„Geschenke werden bei uns erst am 25. Dezember verteilt“, plaudert Rudolph aus seiner Heimat.

„Und was ist mit dir, Santa Claus? Wie wird bei euch das Weihnachtsfest gefeiert?“ Santa Claus blickt in die Runde. „Bei uns in England? Ich stecke die Geschenke in aufgehängte Socken.“ „Ihgitt!“ Rudolph schüttelt angewidert seinen Kopf. „Und traditionell kommt bei uns Plumppudding und Truthahn auf den Tisch.“ „Au fein, dann reise ich am 24. Dezember nach England. Ich liebe Pudding“, sagt der deutsche Weihnachtsmann.

„In Italien werden die Kinder erst am 6. Januar beschenkt“, tönt Hexe La Befana. „Wie halten die Kleinen das nur solange aus?“ Rudolph blickt verständnislos zu ihr herüber „Einen Weihnachtsmann gibt es bei uns nicht. Den bösen Kindern bringe ich statt der Rute Kohlestücke“, zwinkert die Hexe Rudolph zu und erzählt munter weiter: „Die Kinder glauben, dass ich mich zu spät auf den Weg gemacht und den Stern von Bethlehem verfehlt habe. So wandere ich umher, auf der Suche nach dem Christkind und hinterlasse in jedem Haus ein paar Geschenke. In Russland bekommen Kinder ihre Geschenke erst am 7. Januar.“ Rentier Rudolph staunt. „An diesem Tag werden sie außerdem mit Herzen in jeglicher Form und aus vielen verschiedenen Stoffen beschenkt. Jedes Herz steht für einen Wunsch, der in Erfüllung gehen soll.“ „Was du alles weißt“, wundern sich die Sternsinger und erzählen, wie Weihnachten in Polen gefeiert wird. „In Polen glaubt man, das Christkind reite auf einem Esel aus dem Himmel zu den Menschen. Deshalb muss in der Wohnung unter dem Tannenbaum immer ein wenig Heu für den Esel liegen. Und wie sieht es Weihnachten bei euch aus?“, möchten die Sternsinger von den Kindern aus Kenia wissen, die in ihrem Land die Hauptorganisatoren des Festes sind. „Eure Temperaturen bringen doch jeden Schokoladenweihnachtsmann zum schmelzen“, kichert Rudolph. „Wir feiern ganz ausgelassen bis in die Morgenstunde des 25. Dezember. An diesem Tag wird eine Ziege geschlachtet, die unter allen Familienmitgliedern gerecht aufgeteilt wird. Wir laufen dann durch die Stadt von Haus zu Haus und wünschen uns gegenseitig frohe Weihnachten.“

„Liebe Kollegen, lasst uns in diesem Jahr tauschen. Ich werde nach England reisen. Rentier Rudolph nach Spanien. Zum Ende der Feiertage sehen wir uns wieder“, verkündet der deutsche Weihnachtsmann schließlich.

Und so fliegen die Sternsinger nach Kenia, La Befana nach Rügen und so weiter. Der deutsche Weihnachtsmann möchte Heilig Abend in London gerade an die Tür klopfen und die Kinder überraschen, da fällt ihm ein: „Upps, die Geschenke werden ja in Socken gesteckt. Die lieben Kleinen glauben, der Weihnachtsmann kommt nachts durch den Schornstein. Na, das machen wir in diesem Jahr mal etwas anders.“ Der Bärtige klopft so lange an die Tür von James und Liz, bis diese aufspringt. Verblüfft starren beide Kinder den Weihnachtsmann in seinem langen roten Mantel und der Zipfelmütze an. Und auch der staunt nicht schlecht. Über der Tür hängt ein Strauß aus Mistelzweigen mit leuchtend roten Beeren. „Wo ist denn nur der Weihnachtsbaum?“ Der 5-jährige James spürt die Unsicherheit des Weihnachtsmannes und flüstert ihm zu: „Wer unter den Mistelzweigen steht, darf geküsst werden.“ Der Bärtige sieht sich um, staunt und fragt: „James, warst du denn auch immer artig?“ In seinen Händen hält er ein Geschenk für den Jungen. James Augen leuchten. „Na, dann verrate mir doch einmal das Gedicht, das du gelernt hast?“ „Ein Gedicht?“ „Ja, ein Gedicht. Oder ein Lied. Sonst bekommst du kein Geschenk!“ „Weihnachten ohne Geschenk?“ James hat weder ein Gedicht noch ein Lied für den Weihnachtsmann parat und fängt an zu schluchzen: „Warum möchtest du das von mir wissen? Und wieso kommst du Heilig Abend? Bescherung ist doch erst am 25. Dezember!“ „Schon gut“, versucht der Weihnachtsmann James zu beruhigen, „ein Plumppudding und alles ist vergessen.“ „Ein plumppudding-essender Weihnachtsmann, der Heilig Abend an die Tür klopft?“, schüttelt der aufgeweckte Blondschopf verwundert den Kopf.

Während James den Pudding aus der Küche holt, legt der Weihnachtsmann Mantel und Mütze ab.

Doch anstelle eines Vanillepuddings bringt der Kleine eine Art Napfkuchen. „Nein, ich möchte Plumppudding. Keinen Kuchen. So wie es bei euch Weihnachten Tradition ist.“ „Aber das ist Plumppudding!“, versichert James. „Diese Engländer“, denkt der Weihnachtsmann, streicht sich die Barthaare glatt und beißt genüsslich in den Pudding. „Au!!!“ Der Weihnachtsmann hält sich die Wange: „Ich habe auf etwas Steinhartes gebissen.“ James lacht und fragt. „Ja, weißt du das denn nicht? Bis heute ist es Brauch, dass im Plumppudding eine Silbermünze versteckt wird.“ Nein, so hat sich der Weihnachtsmann Weihnachten nicht vorgestellt. Wütend nimmt er Mantel und Mütze und verlässt das Haus. An seinen Schlitten gelehnt, träumt sich der Weihnachtsmann nach Rügen. Dort warten die Kinder derweil vergebens auf den Bärtigen. Hexe La Befana hat beschlossen, ihren Flugplan auch auf Rügen beizubehalten und die lieben Kleinen erst am 6. Januar zu beehren – mit Geschenken für die guten und Kohlestückchen für die bösen Kinder.

Mitte Januar kommen die Weihnachtsmänner, Rentier Rudolph, Hexe La Befana und all die anderen wieder zusammen.

Die Schneeflocken scheinen an diesem Tag noch ausgelassener zu tanzen. Doch dafür haben die Weihnachtsboten keinen Blick. Der sonst so vorlaute Rudolph hat seinen Kopf gesenkt. Tränen kullern über La Befanas Gesicht und der Weihnachtsmann aus Österreich schimpft über entsetzte Gesichter in Spanien. Nein, nie wieder wollen sie tauschen. Das haben sie sich bis heute geschworen.

 

Inselexperten-Tipp:

Diese und andere schöne Geschichten von der Rügener Kinderbuchautorin Janet Lindemann kann man in verschiedenen Lesungen im Dezember anhören.
Hier sind die Termine:

– 10. und 11. Dezember: Kinderlesungen im Märchenzelt auf dem Weihnachtsmarkt Binz von 15.00 bis 17.00 Uhr
 
– 17. Dezember: Kinderlesung auf dem Selliner Weihnachtsmarkt (Bibliothek) um 13.30 Uhr
– 18. Dezember: Kinderlesungen auf dem Selliner Weihnachtsmarkt (Bibliothek) um 15.00 und 16.00 Uhr

– 30. Dezember: Kinderlesung mit vielen Überraschungen zum Mitmachen und Anfassen im Binzer Kleinbahnhof (Bibliothek) um 11.00 Uhr

 

Und wer noch mehr erfahren möchte: www.inselkinder-verlag.de

 


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