Ganz verhüllt – oder etwa doch oben ohne? Textile „Fassaden“ im Binzer Monat der Bäderarchitektur


Maik Brandenburg ist als Reporter weltweit unterwegs für Magazine wie Mare, Geo, Merian und Free Man's World. Auch, wenn das Reisen seine Leidenschaft ist: "Am Ende zählt, dass ich stets wieder auf Rügen lande", sagt er. Brandenburg lebt mit seiner... mehr

Zu einer Bademodenschau gehört Wasser, unbedingt. Da die Show, der Temperaturen wegen, nicht in der Ostsee stattfinden konnte, ließ es Petrus ein wenig regnen. Es war sein Beitrag zum Auftritt der fünf Damen und des einen Herren vom Modeteam Dresden am vergangenen Wochenende. Nahe der Binzer Seebrücke sprangen und tanzten sie durch eine an Historie und Histörchen reiche Geschichte.

Rund 100 Jahre textiler Strand-Chic standen also auf dem Programm. Letzteres ist Teil des Binzer „Monat der Bäderarchitektur“ samt Freiluftausstellungen, Ortsführungen, Villenbesichtigungen und Musik von Schnulze bis Swing noch bis zum 9. Oktober.

Eine Art Bäderarchitektur ist der in Strandbekleidung gehüllte Körperbau der Badegäste ja auch. Insofern passten die textilen „Fassaden“ der fröhlich durch ein Jahrhundert hüpfenden Models. Die Show begann mit den heute grotesk anmutenden Badeanzügen um 1900.

Das waren tatsächlich noch Anzüge, verhüllten sie doch die „sündhafte Nacktheit“ wirklich von Kopf bis Zeh. In den Zwanzigern dann ging es bereits freizügiger zu: Die als eine merkwürdige Art Ringelrobben plätschernden Herren (runde Streifen) und die Damen in ihren Rüschenkleidern zogen knapp über den Knien und an den Armen blank. Die Badeanzüge wurden also luftiger, es ist anzunehmen, dass einige Strandgäste tatsächlich etwas braun wurden. Allerdings gab es bald den so genannten „Zwickelerlass“, der dem sündigen Treiben schnell wieder einen (Stoff-) Riegel, eben den Zwickel, vorschob. Erich Kästner hat dazu seinerzeit ein Gedicht verfasst: „Brief an ein Brachtexemplar“. Der Empfänger war Franz Bracht, damaliger Innenminister und Hochanstandswahrer deutschen Badewesens. Genützt hat es wenig, die Haut blieb weiträumig verhüllt.

Nach dem II. Weltkrieg wurde der Strand dann endgültig zum Laufsteg, immer neue Kreationen entstanden.

Die Hüllen fielen mit den Hemmungen: Bikini, Tankini, Monokini, Microkini, es ist erstaunlich, wie viel man aus so wenig Stoff machen kann. Einige der Neuheiten wurden buchstäblich in den Sand gesetzt. Oder will jemand Strick-Bikinis oder die tortenähnliche Badehauben wiederhaben? Gut auch, dass die neongrellen Badehosen- und -einteiler der achtziger Jahre nur noch in Museen oder Schubladen verstauben.

Genau aus denen wurden einige der gezeigten Exemplare geholt. Wie die Agentur mitteilte, hätten sie viele Stücke von Bürgern erhalten, die einem entsprechenden Aufruf gefolgt waren. „Gleich kommt er mit der Dreiecksbadehose“, rief eine hoffnungsfrohe Dame. Doch sie wurde enttäuscht, das männliche Model ersparte dem Rest den Anblick des an der Seite zu schnürenden Stofffetzens. Diesen gab es so wohl nur in der DDR, ein Beispiel der verheerenden Folgen der damaligen Materialknappheit.

Zum Glück wurden nicht alle Textilien und Accessoires aus 100 Jahren Bademode gezeigt. Riesige, glitzernde Haarschleifen etwa oder flatternde Gürtelbänder über Bauch und Hüfte waren schon Schmerz genug. Unglaublich, dass die mal „in“ waren.

Das Publikum schien begeistert, sicher erinnerte sich mancher an ferne Badefreuden im Bikini á la Tanga oder G-String. Oder gar im Mankini, wie ihn der Schein-Kasache Borat im gleichnamigen Film trug. Leider war die Show zu schnell zu Ende, man hätte zu gern noch ein paar historische Reminiszenzen der Freien Körperkultur gesehen. Die gibt es dann vielleicht im nächsten Jahr, zum nächsten Binzer „Monat der Bäderarchitektur“. Wäre doch ein tolles Thema: „Ohne was durch 100 Jahre FKK-Mode“.

Infos: www.ostseebad-binz.de

Videostills: pocha.de

 


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