Schwalbenwurz und Ochsenzunge im Biosphärenreservat Südost-Rügen


Berichte von Einheimischen.

Das Biosphärenreservat Südost-Rügen schützt eine Kulturlandschaft, die es im gesamten norddeutschen Küstenraum kein zweites Mal gibt. Eine Exkursion auf der Halbinsel Mönchgut.

MMalerischer geht es kaum. Und ruhiger auch nicht. Zumindest nicht auf der Insel Rügen. Während sich in der Saison die Blechkarawanen der Urlauber auf den Hauptstraßen mühsam zu den Top-Attraktionen Kap Arkona und Kreideküste sowie zum Ostseebad-Platzhirsch Binz quälen, zieht die Insel ostwärts der weißen Residenzstadt Putbus ganz andere Seiten auf: Schokoladenseiten für wahre Genießer nämlich.

Alte Alleen säumen hier kurvige, teils noch kopfsteingepflasterte Straßen. Bewaldete Hügelkuppen liegen am Weg, kleine Seen sprenkeln die Tälchen dazwischen. Durch die märchenhaften Wälder der Granitz dampft und schnauft der Rasende Roland, die älteste deutsche Schmalspurbahn. Am Boddenufer im Süden reihen sich winzige Dörfer mit reetgedeckten Häusern und Obstgärten aneinander. Komplettiert wird das Idyll durch die Insel Vilm, an deren Buchenwald seit 400 Jahren kein Mensch mehr Hand angelegt hat und die jeden Tag gerade mal 30 Besucher betreten dürfen.

Alles das – und noch ein bisschen mehr – gehört zum Biosphärenreservat Südost-Rügen.

Eines von dreien in Mecklenburg-Vorpommern, eines von aktuell 651 in 120 Ländern, die als repräsentative Refugien eingebunden sind in das UNESCO-Programm „Der Mensch und die Biosphäre“. Wie in Naturparks geht es auch in Biosphärenreservaten um den schonenden Umgang mit der Natur; im Mittelpunkt allerdings steht hier die nachhaltige Nutzung des Landes und der historischen Kulturlandschaften – mit Mensch und Natur in Einheit und im Einklang.

Mit 235 Quadratkilometern umfasst „Südost-Rügen“ ein gutes Viertel des Territoriums von Deutschlands größter Ferieninsel.
Vor 10.000 Jahren modelliert von den Gletschern der Weichselkaltzeit, verliehen Wellen und Wind dem Landstrich besonderen Schliff und hinter-ließen höchst eigenwillige Spuren. Land und Meer etwa sind hier tief ineinander verzahnt, formen Haken, bilden Nehrungen. Halbinseln und Küstenvorsprünge werden mal durch schmale Landbrücken miteinander verbunden, mal durch Bodden und Wieken voneinander getrennt. Geschiebemergelkliffs und Kliffranddünen, Flach- und Steilküsten, Block- und Sandstrände, Salzwiesen und Niedermoore – all das ist typisch für diese eigentümliche Landschaft.

Dass Südostrügen auch uralter Siedlungs- und Kulturraum ist, bezeugen Großsteingräber aus der Jungsteinzeit, Hügelgräber aus der Bronzezeit, slawische Burgwälle, mittelalterliche Kirchen und Dorfstrukturen. Und nicht zuletzt das herrschaftlich-elegante Erbe des Fürsten Wilhelm Malte I. zu Putbus, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seiner Residenzstadt Putbus dem norddeutschen Schinkel-Klassizismus ein prächtiges Denkmal setzte.

„Fakt ist: Was hier seit 1990 unter besonderer Obhut steht“, stachelt Stefan Woidig gleich zu Beginn seiner Exkursion im Revier die Neugier seiner Gäste an, „ist eine Kulturlandschaft, wie es sie im gesamten norddeutschen Küstenraum kein zweites Mal gibt.“ Und der sicherlich eigentümlichste Teil davon wiederum ist das Mönchgut. Nicht ganz zufällig hat Woidig deshalb die Backsteinkirche von Groß Zicker zum Startpunkt auserkoren; von hier aus lässt sich ein besonders attraktiver Teil von Rügens Südost-Zipfel in drei bis vier Stunden auf einem Rundweg erwandern.

Die kleine gotische Backstein-Schönheit wurde um 1360 erbaut und ist damit das älteste Gebäude auf dem Mönchgut. Dieses gehörte in jener Zeit den frommen Zisterzienser-Brüdern des Klosters Eldena bei Greifswald – über den Bodden gerade mal 27 Kilometer Luftlinie entfernt, auf dem Landweg sind es fast hundert. Randlage und Abgeschiedenheit prägten das Mönchgut schon damals. Das blieb auch fortan so und brachte Kultur und Traditionen hervor, wie es sie nirgendwo sonst auf Rügen gibt. Zum Beispiel einen sagenhaften Schatz an Märchen und Geschichten.

Auftakt-Spaziergang durch Groß Zicker. Das unter Denkmalschutz stehende Bauern- und Fischerdorf besteht bereits seit dem 12. Jahrhundert und vermittelt noch heute die altertümliche Atmosphäre längst vergangener Zeiten. Dafür sorgen niedrige Häuser mit bunten Türen, wuchtigen Reetdächern und prächtigen Bauerngärten. Besonders auffällig ist das Pfarrwitwenhaus aus dem frühen 18. Jahrhundert. Mit untypisch spitzem Schilfdach – im Volksmund „Zuckerhut“ – und ohne Schornstein; der Rauch zog seinerzeit über den Eingang und das sogenannte Eulenloch am Dachfirst ab.

Dann wird es kurzzeitig steil. Über eine Wiese steigt Woidig auf zum Gipfelkamm der Zickerschen Alpen – so nennen sie hier liebevoll die malerische Mönchguter Hügelkette, auf der es von Frühjahr bis Herbst grünt und blüht, dass einem schier die Sinne vergehen. Lila Blumenteppiche überziehen die Kuppen, dann wieder übernehmen Mohn und Kornblumen das Kommando und wetteifern leuchtend um die Gunst des Betrachters. Und dazu ein Panorama-As nach dem anderen: Ganz Südost-Rügen liegt einem hier zu Füßen – mitsamt Ostsee und Boddenlandschaft.

Jetzt endlich schlägt auch die wahre Stunde des Stefan Woidig, der sich als Biologe beim und im Biosphärenreservat wie kaum ein zweiter auskennt mit Fauna und Flora auf der Halbinsel Mönchgut. Ein Glücksfall für einen wie ihn, denn auf den trockenen und nährstoffarmen Böden haben sich viele Pflanzen angepasst, die eigentlich am Mittelmeer und in Südosteuropa zu Hause sind. Allein über Gräser könnte er seinem Affen stundenlang Zucker geben, und das tut er auch mit Inbrunst und Leidenschaft. Er referiert über den bunt blühenden Trockenrasen, der von Frühjahr bis Herbst die sanften Hügel überzieht und jede Woche anders aus-sieht. Er berichtet über die erbitterten Kämpfe der Pflanzen um den besten Platz, die meis-ten Nährstoffe und das meiste Wasser, „die nicht nur über, sondern auch unter der Erde ausgefochten werden – notfalls sogar mit chemischer Kriegsführung.“

Und er präsentiert seiner staunenden Schar immer wieder seltsame und seltene Gewächse wie den Berg-Haarstrang und den zwiebeltragenden Zahnwurz.
Exoten wie Klappertopf und Silbergras. Schwalbenwurz und Ochsenzunge, die beide auf der Roten Liste stehen. Orchideen wie den Vogel-Nestwurz und das „konkurrenzstarke Land-Reitgras, um das selbst unsere besten Landpfleger, die Rauwolligen Pommerschen Landschafe einen großen Bogen machen.“ Und das will schon etwas heißen bei der robusten Rasse mit den schwarzen Köpfen, die hier auf Schritt und Tritt zugange sind.

„Ohne diese Beweidung jedenfalls sähe es hier ganz anders aus“ würdigt Woidig abschließend noch einmal nachdrücklich die unverzichtbare Rolle der Schafe bei Gestaltung und Pflege einer Kulturlandschaft, wie sie vor der industriellen Landwirtschaft einmal aussah. Als Mensch und Natur noch überall im Einklang lebten. So wie auch jetzt wieder. Im Biosphärenreservat Südost-Rügen.

Infos:
Biosphärenreservat Südost-Rügen, 038301 88290;
Zwischen Mai und Oktober regelmäßig geführte Wanderungen;
www.biosphaerenreservat-suedostruegen.de

 

Foto: E. Eichler


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