52 Gesichter der Insel Rügen: Hans-Joachim Schreiber #24 of52


Holger Vonberg ist gebürtiger und bekennender Rüganer. Sein Berufswunsch als Zweijähriger: „Urlauber Baabe“. Das hat nicht ganz geklappt. Ab 1991 war er als Journalist u. a. für den NDR, die OZ und den „Urlaubs-Lotsen“ auf der Insel unterwegs. Bis März... mehr

Hans-Joachim Schreiber | Inh. Fischräucherei und -imbiss, Jahrgang 1953

Drei in einem Boot: Flucht über die Ostsee

Von 1961 bis 1989 haben mehr als 5600 DDR-Bürger versucht, über die Ostsee zu fliehen. 189 verloren dabei ihr Leben. 54 gelten als vermisst. Hans-Joachim Schreiber aus Dranske gehört zu denen, die es geschafft haben. Mit zwei Freunden ruderte der Wittower im Spätsommer 1970 in etwa 16 Stunden rund 100 Kilometer von Dranske bis zur dänischen Insel Møn. Hans-Joachim, von seinen nahezu gleichaltrigen Freunden Henner genannt, war damals 17 Jahre alt. Am 27. September schoben sie gegen 21.30 Uhr auf der Ostseeseite vom Buger Hals ein Holzboot der Fischereiproduktionsgenossenschaft (FPG) „Karl Marx“ ins Wasser und legten sich in die Riemen.

Sie hatten Glück. Weder die 6. Flottille, die auf dem Bug stationiert war, noch die Patrouillen am Strand, die sowjetischen Genossen am Rehbergort oder die Grenzbrigade Küste, die nachts mit Flak-Scheinwerfern die Ostsee absuchten, wurden auf das kleine Boot mit den drei Republikflüchtlingen aufmerksam. Sie ruderten am Dornbusch von Hiddensee vorbei und weiter in Richtung Nord-West. An Bord: weder Kompass noch ausreichend Wasser, nur ein paar belegte Brote. Der Leuchtturm von Hiddensee – immer achtern als Orientierung – wurde kleiner und kleiner. Später tauchten die Kreidefelsen der dänischen Insel auf. Erst da wurden das Boot und die drei Jugendlichen in Dranske als vermisst gemeldet.

Der westlichen Boulevardpresse war es Ende September 1970 eine Meldung wert, dass es drei jungen Männern aus der DDR gelungen war, in einem Ruderboot von Rügen zur dänischen Insel Møn zu rudern. Sie wurden in die BRD geschickt, wo sie ein neues Leben anfangen wollten. Doch nach wenigen Monaten zog es sie wieder in die Heimat.

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Hans-Joachim Schreiber wurde nicht in den Westen zurück geschickt. Er durfte in seiner alten Heimat bleiben, bei seinen Eltern, die zum Zeitpunkt der Flucht im Urlaub waren und danach schwere Wochen durchleben mussten – mit Hausdurchsuchungen und Verhören. Am meisten gelitten habe seine Mutter, bedauert Hans-Joachim noch heute.
Er wurde zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Das Leben ging weiter. 15 Jahre lang arbeitete er in der FPG, war zuletzt sogar Produktionsleiter. Dann fiel die Mauer, auch die unsichtbare an der Ostsee.

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Seit 22 Jahren ist Hans-Joachim Schreiber nun schon selbstständig. Er hatte eine Fischgaststätte in Dranske, einen Fischimbiss in Putgarten und Nonnevitz II. Jetzt kümmert er sich nur noch um seine Fischräucherei mit -imbiss im Hafen von Kuhle bei Dranske.
Er ist verheiratet und hat sechs Enkel. Seinen drei Kindern hat er erst spät von seiner abenteuerlichen Flucht über die Ostsee erzählt. . .

Foto und Video von pocha.de

Insel Rügen. #25JAHRE

Nach dem Mauerfall in die Reisefreiheit. Deutschland feiert im Jahr 2015 „Silberhochzeit“: 25 Jahre Deutsche Einheit. Die Insel Rügen erinnert mit der Kampagne „#25JAHRE“ an jene Zeit vor und nach dem Mauerfall. Wie haben die Menschen auf Rügen, Ummanz und Hiddensee die gesellschaftliche Wende erlebt? Wie war ihr Leben in der DDR – an der unsichtbaren Mauer, die Ostsee hieß? Und wie ging es im neuen, vereinten Deutschland für sie weiter? Rügen hat sie: Menschen mit ihren spannenden Geschichten, authentisch, ehrlich, emotional, überraschend. Jede Woche des neuen Jahres steht für 52 dieser Gesichter, die immer freitags in Kurzfilmen auf Youtube (youtube.com/wirsindinsel), Vimeo und im Blog www.wirsindinsel.de gezeigt werden: Plattdänzer und Plattschnacker, „Ureinwohner“ und Neurüganer, Sänger, Künstler, Mitgestalter, eine Meisterin, der Wetterfrosch, der Nachbar und die Nachbarin. Spannende Geschichten, die zeigen, wie tief so manche Wurzel in die Rügener Geschichte hinein reicht, was Glück und was Heimat bedeuten und wie sich Zeiten und Menschen ändern, ob Wünsche und Träume wahr wurden oder Hoffnungen sich vielleicht doch nicht erfüllt haben. #25JAHRE ist ein Projekt voller Emotionen, ein Stück bewahrter Zeitgeschichte, ein Teil von Rügen.


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