Alle Vögel sind noch da


Berichte von Einheimischen.

Sie sind mit Sicherheit die Wildtiere, die uns Menschen am häufigsten begegnen und vielleicht schätzen wir sie auch deshalb so sehr. Ein Nistkasten im Obstbaum, ein Meisen-Knödel im Haselstrauch und schon lassen sich viele Vogelarten bequem vom heimischen Fenster aus beobachten. Zusätzlich machen viele Vögel mit betörendem Gesang auf sich aufmerksam oder sie regen mit ihrer Schönheit, ihrer Flugfähigkeit und Eleganz unsere Phantasie an. Kurzum; Vögel sind beliebt. Als Pop-Stars der heimischen Fauna wähnt keine andere Artengruppe einen derart großen Fanclub hinter sich, reisen doch ganze Heerscharen von Freizeit-Ornithologen, zu Deutsch Vogelkundlern, quer durch die Lande wenn an Baggersee XY ein seltener Zugvogel eine Rast einlegt. Und so vereint dieser Wissenschaftszweig der Biologie Liebhaber, Laienforscher und „Profis“. Für nicht wenige der bekanntesten Biologen war die Vogelkunde ein Einstieg, aus dem eine Liebe zur Biologie, zur Wissenschaft des Lebendigen, entbrannte.

Der Mensch hat eine selektive Wahrnehmung. Was uns auf der Bühne des Alltags regelmäßig begegnet interessiert uns, andere nicht unbedingt seltene aber unscheinbarere Arten rutschen am Rande unseres Sichtfeldes vorbei.
Das eindrucksvollste Beispiel ist vielleicht die Biene. In Deutschland kommen aktuellen Schätzungen zufolge mehr als 550 verschiedene Arten vor, wir aber nehmen hauptsächlich die Honigbiene (Apis mellifera) wahr. Während eine Sand-, Mauer-, Woll- oder Pelzbiene schnell im vorbeieilendem Unterbewusstsein als kleines Krabbeltier ab-kategorisiert wird, erkennen wir eine Honigbiene sofort als unseren pelzigen Freund und Helfer – sind wir doch seit Kindestagen darauf verwiesen worden, dass dies eben ein besonderes Krabbeltier ist.

So könnte man also meinen, das mit ihrer Häufigkeit, weiten Verbreitung und ihrer vergleichsweise recht einfachen Beobachtbarkeit, die Vögel davor gefeit seien von uns übersehen zu werden. Doch leider weit gefehlt. Von Vogelkundlern einmal abgesehen, deren Sinne geschärft für die verschiedenen Arten und deren Schwankungen in der Häufigkeit sind, entgeht uns ein besorgnis-erregender Prozess, der in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Unsere gefiederten Freunde verschwinden zusehends, und zwar ohne dass wir im Alltag davon besondere Notiz nehmen würden.

Den während sogenannte Kulturfolger, wie Gartenrotschwanz, Blaumeise und Co. am Futterhaus die Fahnenstange hochhalten, uns Amseln an lauen Sommerabenden von den Dächern weiterhin ihre Reviergrenzen vorsingen und Spatzen auf unseren sandigen Plätzen lauthals ein Staubbad nehmen, bleiben rückläufige Zahlen im Verborgenem. Vielleicht verschwindet diese Meldung auch ein Stückweit im Dickicht der negativen Umwelt-Schlagzeilen und ökologischen Fingerzeige, aber das alleine ist es nicht. Weder eine Übersättigung von Umweltwarnungen, noch mangelnde Artenkenntnis oder Aufmerksamkeit ist der Grund warum diese Tendenz an uns vorbei zieht, sondern schlicht der fehlende Vergleich.

Wir wissen nicht was wir vermissen, den Arten verschwinden nicht plötzlich aus unserem Alltag.
Vielmehr ist es ein schleichender Prozess des Weniger-werdens, ein Auslaufen bei dem wir uns langsam an den selteneren Anblick von Arten gewöhnen, bis deren Ausbleiben nicht mehr über die Bewusstseins-Schwelle dringt.

Andersrum allerdings funktioniert der Trick und so haben mir, nach meinem Umzug, erst die Scharen von zeternden Spatzen und die Flugkünste der Rauchschwalben auf Rügen gelehrt, wie viel im Westen Deutschlands schon abhandengekommen ist.

Und mein Eindruck täuschte mich nicht. Nach einer Untersuchung des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten (DDA) ist das Gefälle der Artenvielfalt und Populationsdichten tatsächlich enorm. Ein Artikel im Zeitmagazin machte bereits 2011auf das Ost-West-Gefälle der Vögel aufmerksam.

In Teilen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns kommen knapp doppelt so viele Brutvogelarten vor wie in den westdeutschen Bundesländern
(http://www.zeit.de/2011/17/Deutschlandkarte-Vogelarten).

Der Grund dafür liegt nach Auffassung des DDA-Experten Christoph Grüneberg vor allem im vergleichsweise hohem vorkommen von naturnahen Wäldern und weiteren wichtigen Lebensräumen wie Auen, Fluß- und Küstenufern. Aber auch die dünnere Besiedlung und damit einhergehende geringere Zerschneidung von Lebensräumen, durch Siedlungen und Infrastruktur machen einen großen Unterschied aus. Diese Landschaftszerschneidung, in Fachkreisen Fragmentierung genannt, gilt heute weltweit als eine der größten Gefahren für die Artenvielfalt.

Ausnahmsweise also, hören wir einmal eine positive Nachrichten aus der Rubrik Umwelt und Natur: Bei uns gibt es Sie noch, die Vielfalt der gefiederten Freunde. Wir sollten uns also freuen und darauf achten, dass uns dieser Schatz nicht verloren geht.

Den nächsten Blog-Beitrag möchte ich den eigenen Möglichkeiten des Vogelschutzes im Alltag widmen. Absolut kein triviales Thema, wird doch über Katzenglöckchen und Winterfütterung seit Jahrzehnten diskutiert!

 

Text: Alice Mercier / Naturerbezentrum Rügen

Quellen:

Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V. (www.dda-web.de)

Zeit Online Archiv, 2011 Ausgabe 17. Matthias Stolz, Die bekanntesten Vogelarten http://www.zeit.de/2011/17/Deutschlandkarte-Vogelarten

 


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