Angekreidet – Rüganer Jones und die Jagd nach den verborgenen Schätzen


er-lebt die Insel durch Kinderaugen

Kann man auf Rügen einen Dinosaurierzahn finden? Wir gehen auf die Jagd nach verborgenen Schätzen der Urzeit, denn in dem Rügener Kreidebruch bietet sich uns die einzigartige Chance,  mit eigenen Händen die Erdgeschichte zu erforschen. Die Fossilien-Exkursion wird über das Kreidemuseum organisiert und von einem Fachmann geleitet.

Meine Begleiter: Nr. 1 ist elf Jahre und Nr. 2 ist sechs Jahre alt

Im Rucksack: 3 Hämmer sowie Meißel und Pinsel, Plastiktüten, für jeden ein paar Gummistiefel und wie immer Trinkflaschen und eine kleine Erste-Hilfe-Tasche 😉

Gespannt folgen wir mit den anderen 18 Teilnehmern dem ortskundigen Führer, der uns über abenteuerliche Pfade in die weiße Wüstenlandschaft des Kreidebruchs führt, vorbei an wilden Orchideen und ausgedienten Industrierohrleitungen, welche hier eine seltsam pittoreske Symbiose eingegangen sind.

Im Kreidebruch hat der Bagger einen tiefen Krater in den weichen Mergel gegraben, so dass eine Art Canyon entstanden ist.
Hier sieht man die Schichten, in denen sich über Jahrtausende die Kreide gebildet hat. Von Hellgrau über gelblich bis strahlend weiß reichen die Schattierungen der Ablagerungsschichten. Die Mission ist nicht ganz ungefährlich, das Betreten des Kreidebruchs geschieht ausdrücklich auf eigene Gefahr.
Wir sind geblendet, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: so weit das Auge schweift, gibt es nur weiße „Erde“, die das Sonnenlicht von allen Seiten reflektiert. Fast schon beißt die Helligkeit in den Pupillen. Der Boden ist glitschig und wir stapfen vorsichtig in unseren Gummistiefeln durch die unwirkliche Landschaft –  man kann förmlich spüren, dass hier ungeahnte Entdeckungen auf ihre spektakuläre Bergung warten.
Andächtig betrachte ich den Tagebau – man muss bedenken, dass wir hier Zeitzeugen finden, die bis zu 67 Millionen Jahre alt sind. Für meine Kinder ist das egal, 67 Millionen Jahre – das war so ungefähr in der Schulzeit meiner Uroma, oder? Sie haben bereits eifrig mit ihren Ausgrabungsarbeiten begonnen. Die Besucher der Exkursionsgruppe haben sich gleichmäßig über das Gelände verteilt, jeder hämmert, spachtelt und wühlt  in Schatzgräberstimmung an seinem selbst gewählten Glücksort.
Die ersten Fossilien werden schon ans Tageslicht befördert, das erkennt man an den erfreuten Ausrufen, die hier und da aus dem Kreidebruch kommen. Unser Führer kann gar nicht so schnell antworten, wie er die Funde zur Analyse unter die Nase gehalten bekommt.
Wir bergen ebenfalls Wunderliches aus dem weißen Matsch: Feuersteine, die aussehen wie Gespenster, Muschelabdrücke, die selbst aus Kreide bestehen, und … ist das ein Dinosaurierzahn?
Bei unserem Fund handelt es sich zwar um einen Donnerkeil, aber das ist ja schon ziemlich nah dran, finden wir.
Jetzt hat es uns endgültig gepackt – Goldgräberstimmung:  wir hämmern gierig Schicht um Schicht neue Kreidebrocken ab. Die Tatsache, dass es ganze 1.000 Jahre benötigte, um nur 3,5 cm Kreidesediment wachsen zu lassen, haben wir fast respektlos in den Hinterkopf verschoben. „Ich versuch’s da unten in der Kuhle“ ruft Nummer 1 uns zu, „da ist sonst noch keiner.“  Könnte die   ausgebaggerte Kuhle vielleicht unsere Chancen optimieren?  In den älteren Schichten, da wo das nach unten sickernde Wasser die Kreide schon aufgeweicht hat, kann man sicherlich Schätze bergen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Um den Grabungsort zu wechseln, bewegen wir uns den steilen Abhang hinunter. Die Gummistiefel sind nun rundherum mit Kreideklumpen verklebt und haben die Ausmaße von wattierten Winterstiefeln erreicht.
Nach kurzer Zeit hält Nummer 2 stolz einen weiteren beachtlichen Donnerkeil in der weiß verschmierten Hand. Beim Sauberputzen entdecken wir eine winzige Muschel darauf,  die durch das Versteinern für immer auf dem Fossil festgewachsen ist.

Plötzlich ein erregter Aufschrei aus der Senke: „Das gibt‘s nicht, kommt mal schnell her.“ Nummer 1 hat etwas entdeckt. Erstaunt beugen wir die Köpfe über die grün-blau verzierte Platte mit feinen Ornamenten. Mein Puls rast, ich glaube mir wird schwindelig. Eine Maurische Fliese mitten in der Kreide? Meine geografischen und zeitlichen Berechnungen ergeben keinen Sinn.
Verwirrt befragen wir den Exkursionsführer, der lacht nur und erklärt uns, dass eine bestimmte Algenform diese Muster macht.

Na immerhin, auf dem Rückweg in extrem weißen Gummistiefeln nehme ich in meinem Rucksack ca. 10 Kilo Schatzfunde, eine interessante Erweiterung meiner Al(l)ge-mein-Bildung und auf jeden Fall ein unvergessliches Erlebnis mit!



2 Kommentare

  • Christina Wuitschik

    Sehr schön geschrieben. Kurzweilig! Von der ersten bis zur letzte Zeile Spaß und Information. Danke.

  • Michael Schumacher

    Ein mit sehr viel Sachverstand und Herz geschriebener Artikel, dessen lesen großen Spaß gemacht hat, bitte mehr von dieser Sorte.