Ein guter Fang, ein guter Tag
Dranske. Ein Mann, ein Kutter, eine Geschichte. Eisiger Ostwind treibt Schneeflocken waagerecht über die Felder. Winter auf Wittow. Ich sitze mit Jürgen Krieger in seiner Garage. Er erneuert hier Heringsnetze und knotet ein feines, dunkelblaues Netz an die Floatleine. Unten befestigt er eine dünne, mit Blei beschwerte Leine, die das Netz strafft. Wieder zieht er einen Knoten fest. „Mein Kutter liegt an der Wittower Fähre. Der Rassower Strom friert nicht so schnell zu wie der Bodden.“ Wenn es taut, kann Jürgen Krieger von dort besser starten als vom Bug, wo sein „Seestern“ sonst vertäut ist. An das Fischen ist jetzt nicht zu denken. Wir schnacken. Und ich erinnere mich an das Möwengeschrei, das uns im vergangenen Frühjahr auf einer Fahrt begleitet hat:
Langsam taucht die Sonne auf. Und Jürgen Krieger ist schon wieder auf Höhe Dranske. Sein Ziel – die Stellnetze in der Ostsee vor Nonnevitz. Meter für Meter holt er die Netze ein. Pukt dicke Dorsche aus den Maschen, auch Flundern. Geübte Griffe mit dicken Gummihandschuhen.
Ein guter Fang. Ein guter Tag. „Darüber kann ich mich noch immer freuen. Wie am ersten Tag.“ Die Kisten füllen sich.Und während der Fischer neue Netze auslegt, grummelt der Diesel gelangweilt vor sich hin. Die Sonne steht über dem Kutter. Wellen wiegen ihn hin und her. Dann stürzen Möwen wie Pfeile hinter uns in die Ostsee. Der Fischer filetiert den Fang. Köpfe, Gräten und Innereien gehen über Bord. Fette und leichte Beute für die Vögel.
Zehn Stunden später: Der Fischhändler wartet. Per Telefon haben sie sich verabredet. Frischer geht’s nicht. Eben noch zappelte der letzte Dorsch im Netz. Die Kisten verschwinden im Kühltransporter. Feierabend? Fehlanzeige. Der Schiffsdiesel muss gewartet, ein Netz ausgebessert werden. Ruhig erledigt der 60-Jährige auch das. Die Fischerei, sein Traumberuf. Doch den sieht er untergehen, wie die Abendsonne über der Ostsee. . .
Fischer Krieger schleppt mit seinem Kutter keine Netze durch die Ostsee. Er betreibt wie nur noch wenige Kollegen die stille Fischerei, legt Langleinen, Netze und Aalkörbe aus. „Wir fangen selektiver als die großen Kutter. Doch mit den Dorsch- und Heringsquoten werden wir regelrecht in die Pfanne gehauen.“
Zur Wende gab es in Mecklenburg-Vorpommern 1450 Kutter- und Küstenfischer. Jetzt sind es weniger als 250. „Aber ich mache weiter, solange ich mich noch sicher auf den Planken halten kann.“ Geht er in den Ruhestand, ohne einen Nachfolger gefunden zu haben, streicht die Europäische Union den Fischerei- und Anlandestandort Dranske von ihrer Liste. Das wäre das Aus, mehr als 750 Jahre nach der urkundlichen Ersterwähnung der Fischerei in diesem Wittower Ort. „Als regionales Kulturerbe müsste unser Berufsstand eigentlich geschützt werden.“
Zu DDR-Zeiten standen zehn Berufsfischer in der FPG Dranske gut in Lohn und Brot. Jeder hatte eine Jahresquote von etwa 25 Tonnen Hering. Auch eine Verarbeitungsstrecke gab es im Ort. Die Filets wurden im Fischwerk Sassnitz veredelt und von Rügen nach Russland exportiert. Nach der Wende löste sich die FPG auf, wurde umgewandelt in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Und zerfiel. Jürgen Krieger ist von ihnen der letzte noch Aktive, ein Küstenfischer mit Leib und Seele.
Seine Frau Gudrun kommt nach einem langen Arbeitstag nach Hause. Mit dem Auto und der Wittower Fähre ist sie in aller Frühe nach Schaprode gefahren, dann mit der Weißen Flotte nach Vitte. Sie arbeitet auf Hiddensee, in der Kurverwaltung. Zum Feierabend das gleiche Spiel: Schiff, Auto, Fähre, Auto. Abends dann sitzt sie mit ihrem Mann manchmal wieder im Auto. Dann fahren sie zur Volkshochschule nach Bergen, zum Norwegisch-Kurs. Denn ihr Sohn lebt in Trondheim, hat dort Arbeit und mit seiner Familie ein neues Zuhause gefunden. „Wir wollen uns in Norwegen besser verständigen können“, sagt sein Vater. „Aber Norwegisch ist eine schwere Sprache.“ Und Trondheim weit. Rostock, wo die Tochter wohnt, nicht ganz so. Der Umzug in einen anderen Ort oder in ein anderes Land aber käme für Gudrun und Jürgen nie in Frage. „Wir lieben diese Ecke von Rügen nun mal.“
Mit einem Lächeln wischt er die Fischwaage ab, über der ein vergilbter Spruch hängt: „Herr, lass mich fangen einen Fisch. Wird so groß sein Deine Gabe, dass sogar ein Mann wie ich keinen Grund zum Lügen habe.“
Hier geht es zu einem weiteren Portrait von Jürgen Krieger.
Text und Fotos: Holger Vonberg
2 Kommentare
29. Dezember 2014 | 23:16
Ich möchte meinem Mann zum 50. gerne ein paar Tage „Urlaub“ bei einem Fischer schenken.Also ich meine eigentlich ein paar Tage mit raus fahren und ausnehmen usw. Nur weiß ich nicht wo ich mich da hinwenden könnte. Vielleicht könnten sie mir da irgendwie weiter helfen.Es sollte nicht zu touristich korekt sein, eher individuell.Würde mich freuen wenn es in die Richtung eine Adresse gäbe.