Lohmes Hafen scheint an diesem Morgen noch zu träumen. Still liegen ein paar Boote vertäut, das Wasser ist klar und glatt, der Wind ein schwaches Lüftchen. Wir steigen in ein Aluboot, zweieinhalb zu allem entschlossene Männer. Erst hievt sich der halbe Mann an Bord, das ist mein 12-jähriger Sohn Emil, dann ich und Torsten, ein Freund. Skipper und Angelguide Thomas Klatte auf seiner „Nautilus“ wartet längst, ein kurzer Monolog zur Sicherheit an Bord, schon tuckern wir auf‘s Meer. Kumpel Torsten ist im Gegensatz zu mir ein erfahrener Angler. Hechte, Zander, Meerforellen hatte er bereits am Haken. Dieser Fisch aber ist auch für ihn eine Premiere.
Es geht um den Lachs, genauer, um den Atlantischen Lachs, um Salmo salar. Er wird in den Flüssen Eurpoas oder Nordamerikas geboren, wohin er auch zurückkehrt, zum Laichen oder zum Sterben. Den größten Teil seines Lebens aber verbringt er weit draußen, wo er sich bis zu anderthalb Meter Größe und gut 20 Kilo herauf frisst. Im Winter folgt er dem Hering bis vor die Insel Rügen. Das macht er schon seit Jahrzehnten, komischerweise war der Atlantische Lachs bei den Anglern lange Zeit dennoch nicht im Visier. Inzwischen aber ist er zum vielleicht begehrtesten Fisch geworden, und nirgendwo sind die Reviere besser als hier. Darum werden wir von einem Geschwader anderer Boote umkreist. An die 20 mögen es sein, alle bewehrt mit langen, starken Ruten, die an der Reling stecken wie Antennen. Viele sind größer als unser Sechs-Meter-Boot. Aber was bedeutet das schon? Wahre Größe zeigt sich sowieso erst im Kampf Mann gegen Fisch.Mit voller Kraft steuert Kapitän Klatte die „Nautilus“ hinaus, die Gischt vorm Bug wirft Regenbogen. Hinter uns scheint der Königsstuhl zu schrumpfen. Schließlich stoppt Klatte das Boot. Mit schnellen Griffen installiert er neun Angeln an Bord, jede mit einem anderen Köder bestückt und auf verschiedene Tiefen eingestellt. Denn nie weiß man, wo der „König der Fische“ ist, er gilt als schwer auszurechnen. Was aber klar ist: Er liebt Futter, das sich bewegt. Darum auch lässt Thomas Klatte den Motor wenig später wieder an. Jetzt tuckern wir mit gut zwei Knoten kreuz und quer zum fernen Ufer. Im Schlepp ziehen wir die Leinen mit glitzernden, vielfarbigen Metallplättchen dran, den Ködern.
Trolling oder Schleppangeln nennt sich diese Art des Angelns. Die Leinen sind erstaunlich dünn, daran sollen wir gleich Fische so groß wie Riesenfüße rausziehen? Plötzlich schnurrt eine der Sehnen los. „Biss!“ ruft Skipper Klatte, zieht eine Angel aus der Reling und reicht sie erst zu mir. Das hatten wir vorher ausgelost. Ich greife zu, die Rolle surrt, der Fisch am anderen Ende zieht die Schnur. Oft gehen so an die 200 Meter ab, sagt Klatte später. Die Angel zu früh gespannt, kann den Fisch entkommen lassen, zu spät ebenso. Dann geht es los: Ein Ruck, das so genannte Drillen beginnt. Ich hebe oder senke die Rute, zwischendurch kurble ich an der Rolle.
Die Rute spannt sich, gleich reißt die dünne Sehne. Nein, sie hält. Ich kurble, senke oder hebe, ich schwitze. Herrjeh, was wehrt sich da am anderen Ende, ein halber Hai? Doch ich gebe nicht auf, ich habe „Der alte Mann und das Meer“ gelesen, das ist mein Fisch, ich bringe ihn nach Hause. Der Fisch zuckt und zappelt, ich kurble und keuche. Jetzt heißt es Er oder Ich! Da, endlich, ein Schatten dicht am Boot! Klatte greift den Käscher und holt – einen mickrigen Lachs hoch, kaum größer als mein Unterarm und auch nicht dicker. Na gut, will ich sagen, besser als nix, da schmeißt Klatte meinen großen Fang auch schon wieder über Bord. Der darf noch wachsen.
Thomas Klatte legt die Angeln wieder aus. Er hatte sie eingeholt, damit sich beim wilden Kampf ihre Sehnen nicht verwirren. Kaum ist das geschehen, schnurrt es wieder los. „Biss!“ Diesmal ist es Kumpel Torsten, der drillen darf. Die Sehne ist gespannt, die Rute gebogen. Auch dieser Fisch wehrt sich, im wahrsten Sinne des Wortes, verbissen. Da, kaum hundert Meter vom Boot, schießt er plötzlich aus dem Wasser. Wow, scheint ein Prachtexemplar zu sein. Kann es sein, dass Torsten, der wohl nicht mehr lange mein Freund ist, einen größeren Lachs fängt als ich? Ruhig und konzentriert drillt er seine Beute ran, darauf bedacht, die Sehne stets straff zu halten. Manchmal scheint es, als sei der Fisch vom Haken, die Sehne erschlafft. Doch das war nur eine kurze Atempause. Fast eine halbe Stunde dauert der Kampf, dann liegt ein riesiger, schuppiger Fisch auf dem Boden der „Nautilus“. Angelguide Klatte misst nach. „Einskommaneun Meter“, verkündet er. Torsten strahlt, als als sei er mit Gold gewaschen. Ich wünsche fröhlich „Petri Heil“, drinnen aber rumort es: Einskommaneun, das riecht nach Weltrekord. Doch Skipper Klatte tröstet: „In der Ostsee gefangene Lachse messen auch mal fast 1,30 Meter.“ Ich fasse wieder Mut. Weit vor oder hinter uns drillt die Konkurrenz. Über uns krakeelen die Möwen, dann schießen sie auf einen Punkt in der Nähe. „Wo Möwen sind, ist der Lachs nicht“, sagt aber der erfahrene Klatte. Über das Echolot ziehen Punkte, Striche, Kleckse. Meist sind es Schwärme von Sprotten und Heringen. Hornhechte sind gleichfalls dabei, sie zeigen das Ende der Lachssaison an. Wir haben an diesem Tag noch einige an der Angel, etwa ein Meter lange Pfeile, schlank, mit spitzem Maul und sehr lecker. Auch Lachse tauchen auf dem Display auf, als fette, lang gezogene Kleckse, sie wirken wie Wassernixen. Doch auch da sagt Klatte: „Die Lachse, die wir auf dem Echolot sehen, sind meist nicht die, die wir fangen.“ Die Zeit vergeht. In den Sehnen verfangen sich glitzernde Fäden. Es sind Spinnweben, die von Land über‘s Meer geweht werden. Langsam frischt es auf, das Boot tanzt. Mein Sohn Emil wird der nächste sein, angespannt beobachtet er die Angeln. Wann schnurrt wieder eine los? Da, jetzt! Nur die Ruhe bewahren, denke ich. Ich meine nicht meinen Sohn, der drillt wie ein alter Seehase. Ich selbst bin nervös – wenn er jetzt auch einen größeren Fisch fängt, bin ich blamiert. Es sieht so aus: Auch dieser Fisch zieht, dass Emil der Schweiß von der Stirn perlt. Minuten vergehen, eine Viertelstunde. Nicht selten sollen die Kämpfe Stunden dauern. Der Lachs ist ein cleverer, zäher Bursche, er verharrt, er schießt in alle Richtungen, er schwimmt unter dem Boot durch, er springt in die Luft. „Es gibt keinen stärkeren Fisch in der Ostsee“, weiß Klatte.
Am Ende liegt er doch im Boot. Genau einen Meter in der Länge. Bei meinem Sohn würden wir jetzt glatt auf die doppelte Länge kommen, so groß ist er vor Stolz. Und ich ebenfalls. Da macht es nichts, dass der Lachs, den ich wenig später noch erwische, doch nicht den meines Freundes Torsten toppt. Er misst 1,04 Meter. Egal, mit dem Fisch meines Sohnes kommen wir auf über zwei Meter – Familienehre gerettet.
Nach einem halben Tag auf dem Meer holt Kapitän Klatte die Ruten wieder ein. Der Motor heult auf, wir preschen zurück an Land. Abends liegt die Beute in unserer Badewanne, am Ende waren es sogar drei Lachse für uns. Ich denke an Kampf und Heldenmut, Selbstüberwindung, Gefahr. Wäre ich Hemingway, würde ich mich jetzt an den Schreibtisch setzen und einen Roman von Weltklasse schreiben. Stattdessen nehme ich das Messer und beginne zu schuppen. [MB]
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