Plötzlich kentert der Katamaran. Fast, jedenfalls. Während die eine Seite des Rumpfs im Wasser ist, drückt sich die andere weit heraus. Beinahe senkrecht rasen wir über den Bodden. Ich kann von oben auf die Bäume der nahen Insel Vilm sehen, als schwebte ich darüber. Gleich wird das Boot ganz umschlagen, dann Gute Nacht. Wie war das? Beim Kentern einfach unterm Segel durchrutschen, keinesfalls auf’s Segel springen. Und bloß nicht das Seil loslassen, sonst treibt das Boot weg. Noch weiter steigt die Kufe aus dem Wasser. Verzweifelt schaue ich zum Skipper neben mir. Er hängt wie ich weit über den Rumpf heraus, um das Boot zurück aufs Wasser zu drücken. Schaffen wir es?
„Um Himmelswillen!“, schreie ich.
„Ja, toll, was?“, ruft Skipper Robby fröhlich zurück, „genieß‘ die Aussicht.“
Ich hatte mir einen gemütlichen Törn vorgestellt, als wir den kleinen Katamaran bestiegen. Das war im flachen Wasser vor der Marina „im jaich“. Langsam trieben wir auch aus dem Hafenbereich. Hin zu unserer Bahn zwischen dem Vilm und dem Strand von Goor. Ab Höhe Vilmer Urwald griff Robby das Seil seines Großsegels fester, gab mir ein anderes für das kleinere Vorsegel. Ich hing mich ins Trapez, indem ich mich per Sicherheitsdraht mit dem Mast verband. Robby zog an seinem Seil und – wusch! – ging es ab! Von Null auf mindestens 15 Knoten schoss der Kat davon. Ein klassischer Hochstart. Der Rumpf drückte sich weit raus, und ich konnte, wie gesagt, Vilms Bäumen auf den Kopf spucken.
Kurz bevor wir auf den Strand schießen, stoppt Robby das Boot. Der hochfliegende Rumpf kippt aufs Wasser zurück. Wir liegen wieder horizontal. Ich löse mich aus dem Trapez und krieche auf ein kleines Netz, das zwischen den Rümpfen gespannt ist. Robby kommandiert „Fock über!“ Ich löse ein Seil am Segel, ziehe straff am anderen, schon schlägt das Segel über meinen Kopf – wir wenden.
Der Kat ruckelt wild hin und her, wie ein hitziges Fohlen, kaum zu bändigen. Als ich mich wieder ins Trapez eingehängt habe, richtet Robby das Segel abermals am Wind aus. Freund Rasmus packt das Boot, das „Fohlen“ bäumt sich auf, wir zischen wieder ab. Kurz vorm Vilm stoppt Robby – eine weitere Wende. Momente später rast der Kat ein weiteres Mal knapp unter Lichtgeschwindigkeit davon.
Immer neu ziehen wir die Bahn, hin und her, und langsam macht es Spaß. Ich beginne tatsächlich, die Aussicht zu genießen. Die Gischt schäumt, kleine Regenbogen glitzern in dem Schleier aus Wassertropfen, die wir aufwirbeln. Der Wind pfeift mit anständigen 5 Beaufort. Wird er noch stärker, denke ich, heben wir ganz ab. Es ist wirklich wie fliegen, und ich bin eine Schwinge dieses Plastikvogels: Weit hänge ich mich heraus, um der Schräglage des Kats entgegenzuwirken. Manchmal, im Wellental, tauche ich ganz ins Wasser, nehme den „Vollwaschgang“. Manchmal stoße ich mit dem Kopf fast an die Sonne, so hoch geht das Boot. Robby bleibt stets locker. Er hat die Pinne fest in der einen Hand, mit der andern bedient er das Segel. Immer knapp vorm Kentern bremst das Boot. Wie Robby das macht, bleibt unklar. Ich habe meine Gedanken sowieso ganz woanders: Wie rette ich mich noch mal beim Kentern?
Das Revier vor Rügen ist ein Geheimtipp unter sportlichen Seglern. Hier drehen die Winde rasch, das macht das Manövrieren anspruchsvoll. Nicht wie in der Südsee, sagt Robby, wo die Lüfte beständig aus einer Richtung wehen. Mit dem Kat habe man außerdem schon bei wenig Wind viel Spaß, das gehe mit einer Jolle nicht. Robby segelt seit Jahren auf den zwei Rümpfen. Der Segellehrer von „im jaich“ weiß schon Sekunden vorher, wann eine Bö kommt, wo es gleich ein Windloch gibt oder wie weit wir ans Ufer können. Das heißt, eigentlich könnten wir mit dem Kat sogar problemlos auf den Strand schießen und die Sonnenbader erschrecken. Ein Kat kann fast überall anlanden. Noch eine Bahn zum Abschied. Der Wind greift das Segel, wieder drückt sich der Rumpf aus dem Wasser: Volle Kraft voraus. Eine Möwe neben uns schreit aufgeregt. Sicher meckert sie, weil wir sie überholen.
Gefunden im Magazin „Rügen. Wir sind Insel“, Autor Maik Brandenburg
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