Sanft schlagen die Wellen an das Boot, der Wind trägt den Geruch von Ostsee und Ferne mit sich und kräuselt das grün-blauschwarze Wasser. Die Brise streichelt die Segel unseres Folkeboots. Gemächlich rauscht es übers Wasser. Steuerbord: Im Hafen von Lauterbach schaukeln die Masten anderer Segelschiffe. Von Backbord grüßt die Insel Vilm. Ihr gegenüber erheben sich die Bäume des Hochwaldes von Goor. Im Laub, in den Baumhöhlen der uralten Gehölze leben Schwarzspechte, Waldkäuze, manchmal kreisen Seeadler hoch darüber. Nicht viel, meint man, und die Goor und der Vilm können die Wipfel ihrer Bäume zu einem riesigen, grünen Dach vereinen. Wie durch einen Park gleitet das Boot durch dieses Ensemble, Kurs Gustow. Rund 40 Seemeilen.
Über den Greifswalder Bodden, entlang eines grandiosen Ufers: Kleine Sandstrände wechseln sich ab mit Mini-Kliffs, Bäume greifen mit ihren Ästen ins Meer, Buchten voller Schilf, aus denen Wildenten fliehen. Das „Gelbe Ufer“, das so heißt, weil die Sonne sein Steilufer wie Gold erstrahlen lässt. Dann Palmer Ort, der „Südpol“ Rügens, ein paar Schläge weiter der Fähranleger von Glewitz. Das Boot fährt in den Strelasund. In der Ferne sieht man die Silhouette der Ziegelgrabenbrücke. Weiter geht es entlang der einst trocken gefallenen Puddeminer Wiek, dann die Gustower Wiek, in denen bereits Silberreiher durchs Seichte waten, nahe bei der Gustower Werder mit seiner seltenen Seeschwalbenkolonie.
Beinahe atemlos stehen wir an der Reling und mögen den Blick nicht abwenden, aus Angst, etwas zu verpassen. Auf gerade ein paar Meilen zeigt sich, was die Insel Rügen so einzigartig macht: ihre ungeheure Vielfalt, die sich erst recht vom Wasser aus erschließt. Andere Gegenden an der Ostsee mögen mehr Küstenlinie haben, doch nirgends gibt sie sich so abwechslungsreich wie hier. Die Buchten, die bewaldeten Ufer, die idyllischen Fischerdörfer, die Kreidefelsen, die kleinen und großen Sandstrände – Rügen ist See- und Sehland, in dem nur, im wahrsten Sinne des Wortes, Wasser, Wind und Vögel den Ton angeben. Während an der westlichen Ostsee oder in der Dänischen Südsee ein Verkehr wie auf der Straße herrscht, ist man vor Rügen selbst zur Hochsaison allein mit der Stille und dem wunderbaren Schauspiel der Natur.
Einfahrt in den Naturhafen von Gustow. Hier riecht das Meer nicht nach Tang, sondern nach Braten. Ein knuspriges Wildschwein brutzelt am Spieß, vom kleinen Lokal nahebei klimpert eine Bluesband. Im Hafenbecken dümpeln zahlreiche Yachten, mit und ohne Segel. Fische springen nach Mücken, Schwalben kreisen knapp überm Wasser und machen ihnen die Beute streitig. Das späte Licht dieses Tages glitzert an den Rümpfen der Boote, spiegelt sich in den Wellen. Schwermütige Musik, leckeres Essen und eine goldene Abendsonne, die hinter die grünen Wipfel der Gustower Wiek fällt – man könnte die Szenerie für das Bild eines von der Natur berauschten Schwärmers halten. Nichts ist eben romantischer als die Wirklichkeit.
Erst seit zweieinhalb Jahren, seit dem Winter 2011, gibt es den Naturhafen Gustow. Doch schon jetzt ist er so etwas wie ein Geheimtipp unter den Skippern. „Manche kommen am Wochenende extra aus Stralsunder Yachthäfen und legen bei uns an. Dann sind sie einfach hier, liegen auf dem Sonnendeck und genießen die wundervolle Stimmung“, sagt Portmeister Christian Rahtleff. Einige vertäuen ihr Schiff auch länger: Bereits jetzt sind viel mehr Dauerlieger zu verbuchen, als anfangs zu erwarten war. „Ein Dauerlieger aus Leipzig hat sich sogar entschlossen, ganz nach Rügen zu ziehen“, erzählt der Hafenchef. „Der kündigte Wohnung und Arbeit und kommt jetzt her.“, ergänzt er.
Ein Port, der Leben umkrempelt. Allerdings schafft er das nicht alleine. Es liegt auch an der Umgebung ringsum. Sanfte Fahrradwege führen übers Feld nach Altefähr; kleine, gut begehbare Pfade machen Spaziergänge durch die Wäldchen zum tatsächlich reinen Vergnügen. Dazu kommen die stillen, schilfbewachsenen Buchten der Gustower und Puddeminer Wiek. Aus ihnen steigen immer mal Kormorane und Fischreiher und eben auch die Silberreiher, die in der Region sonst kaum zu finden sind. Im nahen Prosnitz nistet ein Seeadlerpärchen und unter den Bootsstegen die flinken Uferschwalben. Ein Wellenbrecher am Hafeneingang sorgt dafür, dass die Hechte und Barsche in Ruhe gedeihen. Auch wegen der Aussicht auf die fetten Fänge seien die Vögel hier. Christian Rahtleff meint sogar, dass ihre Anzahl zugenommen hat, seit es den Hafen gibt.
Dabei gab es anfangs Befürchtungen gegenteiliger Art. Seinerzeit erwarteten einige durch den Bau im Naturschutzgebiet Auswirkungen auf Fauna und Flora der Gegend. „Die Ängste haben sich nicht bewahrheitet, auch wegen der strengen Auflagen der Behörden, die wir erfüllen“, sagt Rahtleff, der sich eigens für seinen Hafenjob zum Naturschutzwart ausbilden ließ. Nicht umsonst ist der Naturhafen Gustow zum Europäischen Vogelschutzgebiet erklärt worden.
Wieder läuft ein Schiff ein. Es ist ein größerer Pott. Er hat kein Problem mit dem Tiefgang. Gustow war schon zu DDR-Tagen gut ausgebaggert, hier schlug die Marine ihre Panzer um. Den nächsten Hafen, der größere Boote aufnehmen kann, gibt es erst in Lauterbach, dem Ausgangspunkt unseres kleinen Törns. Dort, in der Wasserferienwelt „im jaich“, ist der wohl beste Seglerhafen der Insel. Er entstand nach der Wende und gehört mittlerweile zu den größten Yachthäfen der Region.
Ein Pärchen, auf Tour rund um Rügen, springt von Bord und hält die Nasen hoch. „Riecht es hier nach Wildschwein?“, fragen sie verwundert. Sie riechen richtig. Und eine dicke Scheibe ist sogar noch übrig.
Gefunden im Magazin „Rügen. Wir sind Insel“, Autor Maik Brandenburg
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